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Christen

Das Beispiel Südafrika.

Christen machen hierzulande inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung aus. 45 Millionen Christen sind zwar immer noch eine stattliche Zahl, die größte religiöse Gruppe der Bevölkerung in Deutschland, aber eben doch nur halb so viele wie noch in den sechziger Jahren.

Was, wenn der Glaube verdunstet? Wenn es die Kirchen gar nicht mehr gäbe? Der Religions­soziologe Detlef Pollack schreibt über die Unaufhaltsamkeit der Säkularisierung:

Die aktuellen Zahlen haben natürlich viel mit den  Missbrauchsfällen zu tun und verlorenem Vertrauen. Vielen Leuten leuchtet auch immer weniger ein, warum sie Kirchensteuern bezahlen sollen, wenn sie zugleich die Angebote der Kirche niemals in Anspruch nehmen. … Im Kern kämpfen die Kirchen bis heute mit dem Kulturbruch, den ich auf die Sechzigerjahre datieren würde. Damals breitete sich der Wohlstand aus, und die Konsumkultur konnte sich richtig etablieren. Breite Teile der Bevölkerung begannen, den Kompass ihres Lebens auf Selbstverwirklichung und Erlebnismöglichkeiten auszurichten. Auch in religiösen Fragen sagen seither viele Menschen: Ich bestimme selbst, was ich glaube oder nicht. … Die Kirchen können die individualistische Verflüssigung der religiösen Vorstellung aus guten Gründen nicht vollständig mitmachen. Die Religion und die Moderne stehen insofern in einer sehr grundsätzlichen Spannung.

Dabei vergessen [viele], dass das Christentum aus der Vormoderne stammt und manches nicht veränderbar ist, ohne das Innere der Kirche anzutasten. Gerade der Katholizismus beruht auf einer scharfen Unterscheidung zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Das Heilige und die Sakramente werden abgeschirmt von der Welt durch heilige Zeiten, heilige Räume, heilige Gefäße und durch das Priesteramt. Das wurde über Jahrhunderte relativ verbindlich gelebt. In jüngeren Umfragen sieht man allerdings, dass der Sinn für das Heilige unter Katholiken beinahe völlig verschwunden ist.

Moderne Gesellschaften haben darum die Tendenz, weltbildhafte Deutungen aufzulösen. Und letztlich beinhalten Religionen immer ein Weltbild. … Ich gehe wie der große Soziologe Talcott Parsons davon aus, dass die westlichen Gesellschaften viel stärker durch das Christentum geprägt sind, als ihre Bewohner das wahrnehmen. Werte wie Gerechtigkeit, Mitleid, Demut – oder wie wir heute sagen: Fairness, Empathie, Bescheidenheit – haben eine große Bedeutung. Menschen, die von außen nach Europa kommen, bemerken diese Spuren des Christentums sehr deutlich.

FAZ 05.08.2023

Detlef Pollak gehört in Deutschland zu denjenigen Religionssoziologen, die sich seit langem mit dem Phänomen und den Auswirkungen der Säkularisierung in Ost und West, einschließlich den USA, auseinandersetzen und die christlich-religiösen Entwicklungen dokumentieren und einordnen. Er folgt damit im Wesentlichen der „Säkularisierungstheorie“, die sich von Max Weber („Entzauberung der Welt“) und Niklas Luhmann („funktionale Differenzierung“) herleitet. Detlef Pollack liefert mit seiner Arbeit gute Beschreibungen und Erklärungen der heutigen Situation von Religion und Christentum in der Welt, des Verlustes von Welterklärung, Sinnstiftung und Lebenshilfe. Aber wie ist denn das Christentum zu bewerten, wenn es in seinem Kern aus der Vormoderne, aus einer mythologischen Welt fest verankerter Weltbilder stammt? Was haben die Christen zur Entwicklung der Kulturen in der Welt beigetragen? Pollack nennt grundlegende Werte – siehe Zitat oben. Aber wo haben Christen Blockaden errichtet, Humanität und freie Entwicklungen verhindert und Macht mit Religion ‚verheiratet‘? Denn davon gab es vor und nach der Zeit der Aufklärung mehr als genug. Oftmals wird von Ketzerverfolgungen und Hexenprozessen wie von Extremformen gesprochen, die nicht zum Kern des Christentums gehören, – wenn aber doch? Man denke zum Beispiel an die gut recherchierten historischen Romane von Hilary Mantel über die Zeit von Thomas Cromwell im England des 16. Jahrhunderts – ein grausames Sittenbild des Christentums als einer zum Machtinstrument gewordenen Religion des Terrors. Von den Galilei-Momenten (Widerruf wegen Folterandrohung, Feuertod des Giordano Bruno) gibt es viel mehr, als es den Christen lieb sein dürfte. Calvins quasi faschistischer Gottesstaat in Genf gilt auch nur als zugespitzte Extremform, die Terrorherrschaft der Täufer in Münster sowieso. Der missionierende Katholizismus führte in Südamerika nur konsequent aus, was die spanischen Eroberer allein nicht leisten konnten: die Liquidierung der hochentwickelten, aber eben ‚heidnischen‘ nationalen und lokalen Kulturen. Wer einmal in Cuzco die triumphalen Kirchen auf den Ruinen der Inkapaläste und Tempelanlagen gesehen hat, ahnt das Ausmaß der kulturellen Auslöschung und Assimilierung der Reste in die Herrschaft der christlichen Eroberer. Der mit den Faschisten fraternisierende reaktionäre Katholizismus in Franco-Spanien, der stockkonservative National-Katholizismus in Polen und anderswo stehen für einen kämpferischen Antimodernismus, wie die jeweiligen Päpste Wojtila (Polen) und Ratzinger (Bayern) bewiesen haben. Wie stark ist also der inhumane, unfreie, antiaufklärerische, machtbesessene Teil der Christen in ihrer langen Geschichte? Kann man angesichts des verbreiteten religiösen Terrors der Konquistadoren in Südamerika (mit dem Segen Roms) noch von Auswüchsen oder muss man schon von einem Wesensmerkmal sprechen? Und kann man da die „guten Taten“ (Armenpflege, Caritas) und positiven Kulturleistungen (Bauten, Kunstwerke, Musik) der Christen einfach gegenrechnen, ohne in unauflösbare ethische Bewertungskonflikte zu geraten?

Ein weniger bekanntes historisches Beispiel eines unmenschlichen Machtregimes von Christen sind die „Afrikaner“ (Selbstbezeichnung, früher auch Afrikaander genannt), die Buren in Südafrika, und ihre Politik der Apartheid sechsundvierzig Jahre lang in der Republik Südafrika des vorigen Jahrhunderts bis 1994. Wieder kann einem ein gut recherchierter historischer Roman einführen: James A. Michener, The Covenant, 1979, deutsch: Verheißene Erde, mehrfach ab 1981. Zum historischen Hintergrund siehe die ausgezeichneten * Wikipedia-Artikel zur Geschichte Südafrikas. Es zeigt sich, dass die Politik der rassistisch begründeten Apartheid als politisches Machtinstrument die ideologische Konsequenz eines christlich-calvinistischen Fanatismus war, der in der Neuzeit seinesgleichen sucht. Der Buchtitel Micheners spielt auf den alttestamentlichen Kontext des Bundes (covenant) und der Landverheißung Gottes an das ‚erwählte Volk‘ Israel an: Radikale Buren sahen sich selbst als das auserwählte Volk Gottes und seines Bundes, ihr ‚Vortrekken‘ als Landnahme der neuen Kinder Israel – eine Erbe des Calvinismus (Erwählung, Berufung, Biblizismus) der Nederlandse Hervormde Kerk, NHK. Vielleicht überzeichnet die Romandarstellung etwas, aber das Erwählungsbewusstsein der gottesfürchtigen weißen Buren ist vielfach belegt und bedarf auch keiner besonderen theologischen Bildung.

Exkurs
Christoph Marx, Südafrika. Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. 2022

„Häufig findet man in der Literatur die Behauptung, die Buren hätten sich als auserwähltes Volk betrachtet. Der südafrikanische Politikwissenschaftler André du Toit ist den Spuren dieser Ansicht nachgegangen und stellte fest, dass es sich um einen historiographischen Mythos handelt. Die theologischen Kenntnisse der Emigranten waren so gering, dass man sie kaum als Calvinisten bezeichnen konnte und die Prädestinationslehre war den meisten wahrscheinlich gänzlich unbekannt. Der britische Afrikaforscher und Missionar der London Missionary Society, David Livingstone, beschuldigte die Buren, den Afrikanern mit der Begründung, sie selbst seien ein auserwähltes Volk, ihr Land wegnehmen zu wollen. Aus den Schriften des vielgelesenen Afrikaforschers, so Du Toit, sei der Mythos von den Buren als auserwähltem Volk hervorgegangen.“ [S. 88]

André DuToit, der sich eine ‚moderne‘ Aufarbeitung der Geschichte der (weißen) Afrikaner (Buren) zum Ziel gesetzt hat und dabei vielerlei „Mythen“ über Afrikaner, Buren, Vortrekker zerstören möchte, ist als Apologet des nationalistischen Apartheid-Regimes umstritten. In einer Rezension des Quellenbandes Afrikaner Political Thought: Analysis and Documents, 1983, heißt es:
„The ‘analysis’ accompanying the documents is as indigestible as biltong and by no means ‘the authoritative survey of themes and trends’ which the authors immodestly claim it to be (p. ix). It contends that early Afrikaners were less politically hidebound than hitherto realized and even had ‘quite different and conflicting viewpoints’ on such sensitive topics as racial equality (pp. xv, xvi, xxv, 79, etc.).
Equally controversially, du Toit and Giliomee exclude all Coloured people, even Griquas and Bastards, from both their definition of ‘Afrikaner’ and the collection of documents (pp. xxv-xxix). This is in keeping with the pure and untainted Afrikaner tradition which denied membership of the maatschappij to Coloured people; it is consistent with A. W. J. Pretorius’s definitive observation in 1848 (‚We are white African boers’ – p. 223); and it permits the authors to establish a convenient continuity between early Afrikanerdom and today’s ‘Nationalist regime’, at whom the book’s political argument is principally directed (pp. xiii, xiv).“

The Journal of African History , Vol. 26, No. 2 (1985), p. 282 (1 page), Tony Kirk

Marx’s Verweis auf Du Toit ist mehr als fragwürdig, denn Du Toit ist als südafrikanischer Historiker durchaus umstritten, insofern er sich noch in den achtziger Jahren als Unterstützer der nationalistischen Regierungspolitik und damit der Apartheid kompromittiert hat. Zudem ist es verwegen, eine zitierte Quelle, nämlich das Zitat des bekannten britischen Missionars (LMS) und Afrikaforschers David Livingston gegen ihn selbst umzudrehen und als Beleg für die Begründung eines „Mythos“ der Buren als des auserwählten Volkes zu verwenden. Marx sitzt hier seinem eigenen Interpretationsprinzip auf, Apartheid vor allem sozialökonomisch als Folge britisch-imperialer Macht- und weißer Wirtschaftsinteressen (=billige Arbeitskräfte) zu deuten. Dabei verkennt er die Macht gerade auch der religiös verankerten Ideologien. Die Entwicklung der NHK in Südafrika, die Kirchenspaltungen und Neugründungen in den Burenrepubliken (zum Beispiel der Nederduitsch Hervormde Kerk van Afrika oder der Christelijke Afgescheiden Gemeenten von Dirk Postma) zeigen, dass die christlichen Beiträge zum Selbstbewusstsein der Buren eben als „die Afrikaner“ nicht zu unterschätzen sind. Leider fehlt hier eine neuere religionswissenschaftliche / religionsgeschichtliche Aufarbeitung.

Ohne Zweifel hatte die Politik der Apartheid in Südafrika auch ganz wesentlich macht- und wirtschaftspolitische Ursachen, basierend auf dem imperialen Anspruch britisch- „weißer“ Suprematie (sog. Zivilisiertheit) und ökonomischer Dominanz. Dies arbeitet Christoph Marx sehr überzeugend heraus. Die Frage aber, „Woher kommt’s?“, was war das geistige, soziokulturelle Umfeld, indem diese radikale Apartheid entstehen und schließlich zu einem faschistoiden Staat weißer Vorherrschaft und rassistischer Unterdrückung führen konnte, ist mit der materiellen Basis, die sie real ermöglichte, noch nicht beantwortet. Bei der Suche nach Begründungen für die Ermöglichung dieser in der Geschichte einzigartigen Durchführung staatlich organisierter radikaler Apartheid, bleibt Marx erstaunlich stumm. Verwoerds national-faschistische Rassenpolitik erscheint bei ihm wie ein Deus ex machina in der nationalistischen Politik Südafrikas. Dabei treten die Christen einer bestimmten Couleur als Zündfunke und Rechtfertigungsideologie auf den Plan. Es gab durchaus ambivalente Bestrebungen, auch solche, die Apartheid als gegen Gottes Willen ablehnten, aber sie blieben minoritär. Aufs Ganze gesehen haben sich Christen in der Geschichte Südafrikas lange Zeit gerade nicht als versöhnende, menschliche, nichtrassistische Kraft profiliert oder gar durchgesetzt – im Gegenteil, sie lieferten mit ihren national-konservativen Burentraditionalisten die überwölbende Vorstellung einer gottgewollten Sonderstellung der frommen weißen, und nur der weißen „Afrikaner“.
[Siehe im Übrigen zumindest als Überblick den guten Wikipedia-Artikel über die Niederländisch-reformierte Kirche im Südlichen Afrika und ihre Geschichte.]

Der Afrikaner Broederbond wurde in den folgenden Jahrzehnten zur maßgebenden Kraft des burischen Kulturnationalismus, der die Vorstellung, die Buren bildeten eine eigene Nation, ein Volk, in der burischen Bevölkerung verankerte und nach 1948 eng mit der Apartheidregierung zusammenarbeitete.

Marx, a.a.O. 164

Die Verfassung der [südafrikanischen] Union hatte 1910 eine uneinheitliche Rassenpolitik festgeschrieben, die aber in den folgenden Jahrzehnten bis 1948 sukzessive in Richtung der radikalen Exklusionstradition der Burenrepubliken vereinheitlicht wurde. In den 1920er Jahren hatte eine Ideologie der Rassentrennung Konjunktur, die von unvereinbaren Kulturen ausging und keineswegs auf Südafrika beschränkt war. Es gab dergleichen in zahlreichen afrikanischen Ländern, insbesondere in Siedlerkolonien, wo es zu besonders strikten Rassentrennungsmaßnahmen kam.

Marx a.a.O. 178

Christliche Kirchen in Südafrika waren zugleich Abbild und Antreiber der gesellschaftlichen Entwicklung, die auf eine radikale Rassentrennung hinauslief. Das war nicht selbstverständlich, denn im frühen 19. Jahrhundert gab es in der britischen Kapkolonie sowohl Wahlrecht für nichtweiße Bewohner (Zensuswahlrecht) als auch gemeinsame Kirchengemeinden und Gottesdienste. Das änderte sich ab Mitte des Jahrhunderts durch zunehmenden Einfluss und das Beispiel der damals entstehenden Burenrepubliken.

Als 1829 in einigen Land- und Grenzgemeinden der Wunsch nach gesonderten Einrichtungen und Gottesdiensten für bekehrte Schwarze geäußert wurde, hielt die Synode der Niederländisch-Reformierten Kirche noch daran fest, daß das Abendmahl allen getauften Gliedern der Kirche ohne Unterschied der Hautfarbe zu spenden sei. 1857 machte sie diese Entscheidung jedoch rückgängig und beschloß, daß aufgrund der Schwachheit einzelner Glieder schwarze und weiße Christen getrennte Gottesdienste halten könnten. Was hier als Ausnahmeregelung und Zugeständnis begann, wurde allmählich zur gängigen Übung und bestimmte später die Ordnung der Kirche. 1881 wurde eine eigene Niederländisch – Reformierte Missionskirche für Farbige eingerichtet, und in der Folge entstand eine Reihe weiterer ethnischer Kirchen. Die damit verfolgte Linie kirchlicher Trennung sollte später zur religiösen Grundlage der Ideologie der Apartheid und ihrer politischen Handhabung werden. Auch die englischsprachigen Siedlerkirchen nahmen aus missionstaktischen und anderen Gründen die Einrichtung getrennter Kirchen für schwarze und weiße Mitglieder auf und fanden zu einer fast ebenso strikten Trennung wie die niederländisch-reformierten Kirchen.

Dirk J. Smit, Südafrika. Theolog. Realenzyklopädie 2001 S. 326

Von den zwanziger bis zu den vierziger Jahren des 20. Jh. gewann eine starke nationalistische Strömung unter den weißen Afrikaandern breiten Raum…. Von besonderer Bedeutung war die Rolle des Neucalvinismus. Die tragende Vorstellung dabei war, daß Gott diese Pluriformität in der geschaffenen Ordnung beabsichtigt habe und schätze und sie daher aufrechterhalten werden müsse.

Während der dreißiger und vierziger Jahre haben Kirchenvertreter der weißen Afrikaander in steigendem Maß von der Regierung Gesetze zum Schutz des Rechts auf kulturellen, ethnischen und nationalen Fortbestand und einer entsprechenden Selbstbestimmung gefordert. Seit 1936 setzten sie die Regierung unter Druck, rassisch gemischte Ehen zu unterbinden, und seit 1942 forderten sie getrennte Schulen und Wohnbezirke. In zunehmendem Maß wurden Schriftbeweise zur Legitimierung der wachsenden Apartheidsideologie beigebracht. Es zeichnete sich eine deutliche Entwicklung ab von einer pragmatischen Unterstützung der Rassentrennung und Befürwortung getrennter Kirchen aus missionstaktischen Überlegungen hin zu einem ausgearbeiteten theologischen Systementwurf zur biblischen Sanktionierung einer umfassenden Ideologie.

Smit, 327

Ob Rassentrennung aus „missionstaktischen“ Gründen besser ist als eine ideologisch begründete, sei dahingestellt. Das Ergebnis war klar: Weiße Christen unterschiedlicher Denominationen und Ursprünge (englisch, burisch) duldeten nicht nur, sondern förderten und rechtfertigten die Politik der Apartheid unter Missachtung ihrer biblischen Grundlagen und kirchlichen Bekenntnisse.

Das änderte sich erst allmählich, ausgelöst durch das Massaker von Sharpville (1960), sowohl national als auch international.

1963 gründeren Christiaan Frederick Beyers Naudé (geb. 1915) und andere das Christian Institute, um dem Rassismus in den Kirchen entgegenzutreten. Es war die freimütigste gegen die Apartheid gerichtete Einrichtung im Land, in deren Rahmen sich Christen aller Rassen mit Fragen von Kirche und Gesellschaft befaßten. 1968 veröffentlichte es gemeinsam mit dem Südafrikanischen Rat der Kirchen (South African Council of Churches) The Message to the People of South Africa. 1977 wurde die Tätigkeit Naudés und des Instituts für sieben Jahre unterbunden. 1978-1985 leitete Desmond Mpilo Tutu (geb. 1931) als Generalsekretär den Südafrikanischen Rat der Kirchen. Er war 1961 als anglikanischer Geistlicher ordiniert worden und versah später (1986-1996) das Amt des Erzbischofs von Kapstadt. Durch seine führende Rolle im Widerstand gegen die Apartheid ist er international bekannt geworden und erhielt 1984 den Friedensnobelpreis. Eine wachsende Rolle im Kampf gegen die Apartheid spielte die internationale ökumenische Bewegung. 1970 stellte der Weltrat der Kirchen sein Antirassismusprogramm auf. In der Folgezeit haben viele christliche Kirchen die Apartheid als Sünde und ihre theologische Rechtfertigung als Häresie verurteilt.

Im November 1990 trat nach den dramatischen, den Demokratisierungsprozeß einleitenden politischen Ereignissen in Rustenburg die bislang repräsentativste Versammlung südafrikanischer Kirchen zusammen. Mitglieder der Niederländisch-Reformierten Kirche legten ein öffentliches Schuldbekenntnis ab. Die Vollversammlung verabschiedete ebenfalls eine Erklärung, die ein Mitverschulden an unterschiedlichen Formen einer Unterstützung der Apartheid bekannte, ihre theologische Untermauerung als Häresie und Sünde verurteilte und zu konkreten Formen der Wiedergutmachung aufrief.

Smit, S. 329 / 330

Spät, sehr spät und erst unter äußerem Druck änderten sich die weißen Christen und ihre Kirchen in Südafrika. Schwarze / farbige Christen und ihre Kirchen hatten schon längst die Blasphemie der theologischen Rechtfertigung erkannt und verurteilt. Beispielhaft bleibt Desmond Tutu mit seinem Zeugnis für Gewaltlosigkeit und Gleichheit aller Menschen unterschiedlichster Hautfarben.

[Über die Geschichte Südafrikas, seiner schwarzen Mehrheit und endlichen Befreiung informiert sehr übersichtlich und vergleichsweise knapp eine Schrift von „Brot für die Welt“: Land ist Leben. Die Geschichte der Landenteignung in Südafrika. 2008]

Vergleiche mit dem Verhalten von Christen und Kirchen während des Nationalsozialismus in Deutschland drängen sich auf. Die überwiegende Mehrzahl der protestantischen Kirchen waren Mitläufer, wenn nicht Unterstützer des Nazi-Regimes (Deutsche Christen). Nur wenige wie der Pfarrernotbund Martin Niemöllers widerstanden der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten. Die katholische Kirche hatte sich durch ein Konkordat mit den Nationalsozialisten arrangiert und praktisch angepasst.

Christen haben sich eher als Treiber reaktionärer politischer Systeme und Ideologien verhalten denn als Kritiker und Widerständler. Ausnahmen von Minderheiten werden im Nachhinein hochgehalten, was nichts am Versagen der Mehrheit der Christen ändert gegenüber unmenschlichen staatlichen Ideologien und Praxen wie im Nationalsozialismus und noch mehr und ausgeprägter während der jahrzehntelangen weißen nationalistischen Rassenpolitik in Südafrika. Christen, konservative Buren / Afrikaander wie imperiale Briten, waren Stütze und Treiber der Apartheid. Südafrika und die unmenschliche Politik der Apartheid bleiben ein Menetekel in der Geschichte der Menschheit im Allgemeinen und der Christen im Besonderen während des 20. Jahrhunderts.

Wie also können Christen und das Christentum Glaubwürdigkeit und damit gesellschaftliche Bedeutung zurückgewinnen? Vermutlich nur, wenn sie selbstkritisch mit ihrer Geschichte umgehen, eigene Institutionen infrage stellen, Machtstrukturen abbauen und sich auf das besinnen, was Pollack eingangs als bleibende Werte beschreibt: „Werte wie Gerechtigkeit, Mitleid, Demut – oder wie wir heute sagen: Fairness, Empathie, Bescheidenheit – haben eine große Bedeutung. Menschen, die von außen nach Europa kommen, bemerken diese Spuren des Christentums sehr deutlich.“

Die Quelle dafür sollte nicht versiegen.

[Text als PDF]

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