„Ein Gott, der stirbt, ist ein Skandal.“ sagte man früher. „Gott ist tot.“ schrieb Nietzsche einst, und auch das war noch ein Skandal.
„Jesus starb am Kreuz“, womöglich noch „für dich“, das interessiert nur noch gläubige Christen, ist ansonsten heute egal. Es starben und sterben viele Menschen schreckliche Tode. Die Phantasie für qualvolles Sterben ist in der Menschheit schon immer grenzenlos gewesen. Folterer haben eine lange Tradition.
Warum also noch Karfreitag?
In der Bibel heißt es bei der Kreuzigung von einem zuschauenden Soldaten: „Der ist wirklich Gottes Sohn gewesen.“ So haben das die gläubigen Christen später erzählt. Das war in der Tat ungewöhnlich. Götter starben normalerweise nicht, allenfalls Gottkaiser waren sterblich. Es gab allerdings damals im Isis- und Osiriskult, der von Ägypten ausging, die Parallele einer Göttin als Herrscherin der Unterwelt und Überwinderin des Todes. Aber das war nun doch noch etwas anderes, als irgendeinen ‚hergelaufenen‘ Menschen, vielleicht einen Wanderprediger aus Palästina, der zum Foltertod am Kreuz verurteilt worden war, nun als „Gottessohn“ zu bezeichnen und zu bekennen.
Das hatte in der religiösen und sozialen Umwelt damals einige Sprengkraft. Für die Menschen am unteren sozialen Rand (und das war die Mehrheit) konnte das verstanden werden als „Das ist ja einer von uns!“ – und auf dessen Seite sollte Gott stehen? Und welcher Gott unter den vielen konkurrierenden Göttern? Es war der Gott der Juden, und der war als Gottheit eines kleinen Volkes am Rande des römischen Reiches auch nicht gerade eine Empfehlung. Immerhin konnten von Armut bedrohte Fischer und Hafenarbeiter, Huren und einige adlige Damen (!) solch einen Gott durchaus als Hoffnung verstehen. Diesem Gott sind die hingerichteten ‚Staatsfeinde‘ und anderen Gewaltopfer nicht egal, hieß das, und das ist doch endlich mal eine ‚gute Nachricht‘! In bestimmten niederen Kreisen in Cäsarea, Korinth und Rom (Beispiele, von denen wir wissen) kam das gut an.
Wenn es doch nur dabei geblieben wäre! Aber nein, es wurde sehr bald aus dem anfänglichen ‚Kult‘ der Hoffnung der kleinen Leute ein ‚Starkult‘, eine selbständige Religion, die sich von der Religion Israels abspaltete. 300 Jahre später wurde das Christentum zur Staatsreligion im römischen Reich. Dazwischen war viel passiert, vor allem aber eines: Der ‚hergelaufene‘ kleine Mann namens Jesus, der wie viele andere vor ihm und nach ihm ziemlich elend verreckt war, wurde als Sieger gefeiert, das Kreuz zum Siegeszeichen! Wie konnte das geschehen?
Dieser Jesus wurde ‚vergöttert‘, vergöttlicht als einer, der nun gottgleiche Macht besaß. Aus dem ohnmächtigen Opfer war ein mächtiger Sieger geworden, sogar als göttlicher „Weltherrscher“. Das war tatsächlich eine völlige Wendung. Aber im Zeichen dieses ‚Siegers‘ („Kyrios“ nannte man ihn, Herr oder Herrscher, und „Christus“ = als König Gesalbter), an den man glaubte, trat die Religion des Christentums die Weltherrschaft an, mit kräftiger Unterstützung des Staates in Rom, Alexandria, Konstantinopel, später Aachen… Wir können die ganze Geschichte hier nicht nacherzählen, und sie bliebe auch wieder nur einseitig. Immerhin floß auch durch die Christen sehr viel Blut in all den Jahrhunderten.
Worauf es mir ankommt: Karfreitag kann für heutige Menschen, nicht nur Christen, dann weiter und wieder eine Bedeutung gewinnen, wenn man an diesen Ursprung erinnert: Die Hoffnung für einen Geopferten, Gescheiterten, Getöteten. Es gab seit dem unendlich viele Greueltaten, nicht nur die Sachsenschlächtereien Karls „des Großen“, Auschwitz der Nazideutschen, Butscha der Russen, und es wird sie weiterhin geben. Der Mensch ist wie er ist, wenn es um Macht und Reichtum geht. Auch Religionen haben eine Menge damit zu tun.
Nach unten schauen, auf die Übersehenen, Leidenden und Geopferten. Und wenn ich mich ‚unten‘ sehe, ‚down‘ fühle: Sich irgendwie von anderen aufrichten und trösten lassen. Es gibt immer eine Hoffnung. Das meint „Karfreitag“.