Dieser Beitrag ergänzt den Beitrag „Ostern analysiert“ vom 6. April 2021 in diesem Blog. Es soll hier ein kurzer Blick auf die Wirkungsgeschichte der christlichen Verkündigung (Osterbotschaft) geworfen werden.
In Punkt 11. heißt es dort:
In historisierender Fortschreibung wurde ein umfassendes Narrativ gestaltet, eine „Kultgeschichte“ entworfen und symbolisch vergegenständlicht. Die ursprüngliche „Osterverkündigung“ wurde in einem fortlaufenden Prozess erweitert, neue Elemente wurden integriert, anderes abgestoßen, das Ganze systematisch konzentriert und schließlich zu dem ausgeformt, was wir als die religiöse Form des „christlichen Glaubens“ in unterschiedlichen Ausprägungen vorfinden.
Damit ist die weitere Entwicklung der christlichen Gemeinden angesprochen. In einem sehr vielfältigen Prozess von Aneignung und Abstoßung haben sich „kirchliche“ Formen und Strukturen entwickelt, die zwar ihren Ausgang nahmen von den frühen lokalen Gemeindebildungen und ihren Geschichten, eben der „Verkündigung des Evangeliums“ (frohe Botschaft), aber zu teilweise entgegengesetzten Ausprägungen und kulturellen Einbettungen führten. Es hat dabei einige Jahrhunderte gedauert, bis sich aus dem dicken bunten Strauß ganz unterschiedlicher Überlieferungen der Botschaft von Jesus von Nazareth und seiner Bedeutung für die jeweilige Gegenwart ein Hauptstrom, genauer, mehrere Mainstreams herausgebildet haben. Das ging nicht ohne unterschiedliche Interessen einher, bei denen regionale Einflüsse, kultische, kulturelle und philosophische Hintergründe, Kämpfe um Führungspositionen, die immer auch Kämpfe um das „rechte“ Verständnis der ‚Botschaft des Evangeliums‘ (inzwischen ein terminus technicus) waren, eine immer deutlichere Rolle spielten. Zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gab es eine Vielzahl von „ökumenischen Synoden oder Konzilien“, das heißt Zusammenkünften von Bischöfen (ein neu gebildetes Amt), Gemeindeältesten, Lehrern und sogar gelegentlich Kaisern aus dem gesamten Bereich der christlichen Kirchen und Gemeinden vor allem im Orient, welche die Glaubenslehren („Dogma, Dogmen“), Kirchenverfassungen (Art und Verständnis der Ämter und Verhältnis zum Kaiser) und Kalenderfragen (Festlegung einheitlicher Termine allgemein christlicher Feste) zum Inhalt hatten. Dort stießen unterschiedliche Interessen und Machtfragen zum Teil recht hart aufeinander, Verläufe teilweise wie in einem spannenden Krimi. Dass davon sieben als „altkirchliche ökumenische Konzilien“ allgemein (für wen?) anerkannt wurden, ist selber wieder ein Vorgang der Abgrenzung und Konzentration. Mit der großen „Kirchenspaltung“ zwischen lateinischem Westen (Papsttum) und griechischem Osten (Orthodoxie) fand dieser kirchen- und machtpolitische Prozess ein vorläufiges Ende. Weiterhin gab es „christliche“ Strömungen außerhalb dieser „Katholizität“ und „Rechtgläubigkeit“, die ein eigenes Leben und eigene Formen entwickelten, die zu anderen geschichtlichen Gelegenheiten durchaus wieder auftauchen und Gestalt gewinnen konnten. Neben der offiziellen „Kirchengeschichte“ gibt es immer auch eine „Geschichte der Häresien“ (abwertend), also der alternativen Möglichkeiten christlicher Verkündigung, christlicher Lehre und christlichen Lebens.
Dabei ergab es sich naturgemäß, dass die Geschichte dieser „Weltkonferenzen“ stets aus der Sicht der Sieger geschrieben wurde: Vieles, was zuvor noch eine mögliche alternative christliche Les- und Lebensart war, wurde danach zur „Häresie“, also zur falschen Lehre erklärt, Bischöfe abgesetzt und ganze Gemeinden als nicht mehr „rechtgläubig“ verfolgt. Das Ganze dessen, was Christentum genannt wird, ist nun endgültig im Bereich auch sehr weltlicher Interessen und Machtfragen (Pfründen!) angekommen. „Naturgemäß“, weil es so der menschlichen Natur und Geschichtsgestaltung entspricht. Dieser Tatsache war man sich durchaus bewusst, so dass daraus ein eigener Glaubensartikel wurde mit dem Begriff „hominum confusione, Dei providentia“, will heißen: durch das menschliche Durcheinander hindurch vollzieht sich der vorausschauende Wille Gottes. Auch dies muss man erst einmal glauben.
Wir haben es also, abgelöst von den Anfängen, mit der Ausbildung genuin christlicher Ideologien zu tun, die durchaus in Konkurrenz zueinander traten. Machtfragen spielten vor allem mit der Anerkennung des Christentums als „Reichsreligion“ durch den römischen Kaiser Konstantin eine starke, wahrscheinlich sogar eine kaum zu überschätzende Rolle. Das „Staatskirchentum“ im Westen und der „Cäsaropapismus“ im Osten (siehe zur Orientierung Wikipedia) waren die beherrschenden Ideologien des ausgehenden Altertums und des frühen Mittelalters in Europa und Vorderasien. Neben die heute durchaus wissenschaftlich betriebene Kirchengeschichtsschreibung in kirchlich-konfessioneller Verantwortung tritt in den Religionswissenschaften eine ideologiekritische Aufarbeitung der christlich geprägten Geschichte, – sie ist bitter nötig.
Der Grund für eine umfassende ideologiekritische Aufarbeitung liegt schlicht darin, dass die christlichen Kirchen, vor allem die Groß- oder Weltkirchen römischer Katholizismus (Papstkirche) und die Orthodoxie, Instrumente und Stützen der jeweiligen Machthaber waren und sind. Kirchen haben sich bis auf diesen Tag äußerst machtbewusst und selbstherrlich verhalten und versucht, nach Möglichkeit und Gelegenheit Gesellschaften ideologisch zu formen und die jeweiligen Machthaber zu stabilisieren. Eine lange Liste von Gräueltaten in der Menschheitsgeschichte sind auch mit kirchlichem Wissen oder gar Rechtfertigungen verbunden (Kolonialismus, Rassismus, Antisemitismus, Antijudaismus, Antifeminismus usw.), vom Kindesmissbrauch bzw. Gewalt in kirchlichen Kinderheimen ganz zu schweigen – , meist zu Lasten marginalisierter indigener Bevölkerungsgruppen. Hier sind erst allererste Anfänge der Aufarbeitung geschehen, und stets gegen das Kartell des Schweigens der kirchlich Mächtigen. Beispiele aus der Gegenwart dürften da gleich einfallen. – Gibt es nicht auch eine positive Geschichte des Christentums? Ganz sicher gibt es die, aber sie ist teuer erkauft mit einer Geschichte der Unterdrückung, des Leidens und Verächtlichmachens, der Rechtfertigung der Gewaltanwendung durch ‚christliche‘ politische Machthaber, im Interesse ebenfalls machtvoller Selbstbehauptung. Eine ideologiekritische Sicht der Kirchen und des Christentums ist mitnichten eine Geschichte von Menschlichkeit und Recht, Hoffnung und Befreiung. Wenn es das dennoch immer wieder bei einzelnen Menschen und Gruppen gab und gibt, dann doch nur gegen die Macht ausübende Mehrheitskirche. Das hat sich bis heute nicht geändert. Es wird höchste Zeit für einen grundsätzlichen Wandel in der Betrachtung und Bewertung des Christentums.
Ostern und die Überlieferung der Ostergeschichten könnten dafür ein Anstoß sein: zu zeigen, ob, und wenn ja, inwiefern die jeweilige „christliche Botschaft“ mehr ist als eine große „Verschwörungsideologie“, die sich die Wirklichkeit, gerade auch natürliche Fakten und wissensbasierte Erkenntnisse, nach dem Gusto ihrer Lehre und ihrer Interessen zurechtbiegt, Schwarzes weiß färbt und das Festhalten an Macht und Einfluss auch gegen die Rechte von anderen, gerade von Minderheiten und ihren leidvollen Erfahrungen mit „Kirche“, stur aufrechterhält. Wenn die Kritik an der verknöcherten Papstkirche wohlfeil ist, so ist zumindest hierzulande auch die Kritik am Protestantismus als einer schal und inhaltsleer gewordenen Veranstaltung zur Verbreitung allfälliger Floskeln und Selbstverständlichkeiten angesagt – und Missbrauchsfälle gab es dort auch zu Hauf. Da helfen auch schon lange keine bunten „Kirchentage“ mehr. Eine Chance für die Bereitschaft zu einer besseren kritischen und den unterdrückten Menschen und Ansichten zum Recht verhelfenden Aufarbeitung könnte darin liegen, dass bei uns in Deutschland die christlichen Kirchen selber zu einer Minderheit in der Bevölkerung geworden sind, wenn auch noch zu einer bedeutenden. Das kann und wird sich aber weiter ändern, und nicht zugunsten der verfassten Kirchlichkeit. Wenn am Christentum in seiner zweitausend jährigen Geschichte mehr dran ist als das, was heute davon zu sehen und zu erfahren ist, dann sollte es alsbald ein gründliches Umdenken und einen Neueinsatz geben, der vielleicht ein Stückchen der Hoffnung und Menschlichkeit dieses Jesus von Nazareth (soweit wir von ihm wissen) und seiner Herausforderung für eine friedliche, menschengerechte Welt sichtbar machen könnte. Das wäre eine wirkliche Befreiung!
Ein positives Beispiel, wie ein solcher Neustart aussehen könnte, gibt die Theologin Sarah Vecera. In einem Gespräch mit Radio WDR5 gibt die engagierte PoC – Theologin, Einblicke in ihre Arbeit und in ihre Erfahrungen. Die gebürtige Oberhausenerin ist seit zehn Jahren Bildungsreferentin bei der Vereinten Evangelischen Mission. Dort bearbeitet die Theologin of Color das Thema Rassismus. Es ist ein bemerkenswertes Gespräch, das Perspektiven in eine neue, offene Richtung des Miteinanders mit einem renovierten Begriff „Mission“ eröffnet. Ein Beispiel, das zumindest für die evangelischen Christenheit in Deutschland fruchtbar sein kann.
[Es wurden kaum Links eingebaut, aber man kann sich zu den einzelnen Stichworten leicht bei Wikipedia orientieren.]
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