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Metaphysik Naturwissenschaft Philosophie

Divergente Theorien – gleiche Strukturen

Gedankensplitter – Einfälle – Denkanstöße

ART und QT – wie können sie vereinigt werden? Probleme einer TOE. Die moderne Physik beschäftigt die Frage nach dem Zusammenhang von Stetigkeit der ART und Diskretheit der QT: QFT projektiert durchgehende Quantisierung der Raumzeit; in LQG entstehen Raum & Zeit emergent aus relationalen Zuständen (Supervenienz). Bislang kann RQM den Übergang zur klassischen ART (Kontinuum im Minkowski – Raum) mathematisch nicht zufriedenstellend darstellen. Das gilt auch für die Stringtheorie (vgl. Wüthrich, s.u.).

Abkürzungen:
ART Allgemeine Relativitätstheorie – SRT Spezielle Relativitätstheorie
QFT Quantenfeldtheorie
LQG Loop Quantum Gravity
EPR/B Einstein, Podolski, Rosen Gedankenexperiment / Bohm-Fassung
PSR Principle of Sufficient Reason
TOE Theory of Everything
RQM Relational Quantum Mechanics
SEP Stanford Encyclopedia of Philosophy (https://plato.stanford.edu/)

EPR, Verschränkung, entanglement: Nichtlokalität und Gleichzeitigkeit stehen im Konflikt zur ART; → Einsteins Einspruch. Dekohärenz erklärt das Wechseln von Quantenzuständen in die makroskopischen bzw. ‚gestörten‘ Normalzustände. Der Übergang ist erstaunlicherweise kontinuierlich (Kiefer). Schrödingers Katze ist dann real entweder tot oder lebendig, Dekohärenz beendet Superposition des „und“.

Relationale QFT ersetzt Substanz / Teilchen durch Relationen, die allererst an ihren Rändern und Spin-Knoten Raum & Zeit und damit Materie erzeugen. Objektive Emergenz des Kontinuums in der Normalwelt? Oder subjektive Wahrnehmung des Beobachters in seinem Bezugssystem? Oder jeweils Realisierung einer bestimmten Welt (Kollaps, Everett- Interpretation)? Welche Ontologie steht dahinter?

Hintergrundtexte:

  • Carlo Rovelli, Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint, 2016 (it. 2014)
  • Claus Kiefer, Quantengravitation, in Michael Esfeld (Hrg), Philosophie der Physik, 2013, S. 267 – 286 (wie auch andere Beiträge im selben Band)
  • Craig Callender, Is Time an Illusion? In: Scientific American, June 2010 S. 59 – 65

Sind Quantifizierung und Kontinuität (ART) nur unterschiedliche Sichtweisen derselben zugrunde liegenden Realität, wie bei Welle / Teilchen? Beides sind Zuschreibungen in theoretischen Konzepten / mathematischen Modellen, die von bestimmten Ausgangssituationen aus und bei bestimmten Fragestellungen jeweils für sich angemessen sein können und durch experimentelle Ergebnisse bestätigt werden. Aber wenn es mehr als Modelle / Hypothesen (Repräsentationen) sein sollen, bleibt die Frage, wie die Wirklichkeit, die physikalische Realität tatsächlich ist, also mit Newton die Frage, was den mathematischen Modellen als Realität zugrunde liegt.

Entscheidender Unterschied besteht darin, dass beide Theorien, ART und QT, (noch) nicht ineinander überführt werden können, im Unterschied zum sog. Welle- Teilchen- Dualismus durch die Schrödinger – Gleichungen. Zu methodologischen Fragen und ontologischen Auswirkungen kann Philosophie Aspekte beitragen, zur physikalischen und mathematischen Problemlösung eher weniger.

Es ist auch kaum befriedigend, die kontinuierliche Gravitation als brute fact gemäß ART zu interpretieren, und alle anderen Phänomene (Felder, Teilchen) eben zu quantisieren. Dazu ist auch schon zu viel in beide Richtungen investiert und positiv geklärt worden. Eine Lösung wird vielleicht am ehesten in einer Weiterentwicklung von RQM und LQG zu finden sein.

→ Federico Laudias, Carlo Rovelli, Relational Quantum Mechanics, First published Mon Feb 4, 2002; substantive revision Tue Oct 8, 2019
Laudisa, Federico and Carlo Rovelli, „Relational Quantum Mechanics“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2021 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/win2021/entries/qm-relational/>.


Die mathematische Weiterentwicklung insbesondere der herausfordernden String-Theorien führte dazu, bestimmte Dualitäten, Korrespondenzen zweier unterschiedlicher Systeme, zu entdecken. Als besondere Art einer solchen Korrespondenz kommt die Verschränkung, entanglement, in den Blick, und daraus kann der Raum als emergentes Phänomen abgeleitet werden.

… enthüllten die Dualität zwischen einer Art von wohlverstandener Quantentheorie, bekannt als konforme Feldtheorie (CFT) und einer speziellen Art von Raumzeit aus der allgemeinen Relativitätstheorie, bekannt als Anti-De-Sitter-Raum (AdS). Beides scheinen völlig unterschiedliche Theorien zu sein – die CFT enthält keinerlei Gravitation, und der AdS-Raum enthält Einsteins Theorie der Schwerkraft. Dennoch kann die gleiche Mathematik beide Welten beschreiben. Als sie entdeckt wurde, stellte diese AdS/CFT-Korrespondenz eine greifbare mathematische Verbindung her zwischen einer Quantentheorie und einem vollständigen Universum mit Gravitation darin.

→ Adam Becker, The Origins of Space and Time, Scientific American, February 2022 S. 26 – 31 Zitat S. 29 (eigene Übersetzung)

Zu erklären bleibt die Zeit – und damit bleibt ein Fragezeichen auch hinter dieser Theorie. Trotz dieser Unterschiede legen sowohl die LQG als auch die Stringtheorie nahe, dass die Raumzeit aus einer beiden zugrunde liegenden Realität emergiert. Dies zu verstehen kann die Philosophie der Physik helfen, denn so zitiert Adam Becker Christian Wüthrich, Professor für Philosophie, Uni Genf:

„Die Tatsache, dass die alten Griechen Dinge fragten wie, ‚Was ist Raum?‘ ‚Was ist Zeit?‘ ‚Was ist Veränderung?‘ und dass wir diese Fragen auch heute noch stellen, bedeutet dass es die richtigen Fragen waren“, sagt Wüthrich. „Durch das Nachdenken über diese Art von Fragen haben wir viel über die Physik gelernt.“

A. Becker, a.a.O. S. 33

Christian Wüthrich selber weist auf die weitreichenden metaphysischen Konsequenzen hin, die durch die fundamentale Abwesenheit von Raum & Zeit hervorgerufen werden.

Nimmt man die Theorie ontologisch ernst, wozu die Stringtheoretiker neigen, so bedeutet dies, dass man das Verschwinden der Raumzeit auf der fundamentalen Ebene akzeptiert. (238)
Wenn eine echte fundamentale Theorie wie die Causal Set Theory die Raumzeit als ontologischen Bestandteil der von der Theorie beschriebenen fundamentalen Realität ausschließen würde, und wenn gezeigt würde, wie die Raumzeit als Annäherung aus der fundamentalen Struktur hervorgeht, wodurch die Theorie mit der bekannten Physik verbunden und empirisch kohärent wird, dann ist unsere aktuelle Welt nach Lewis‘ Analyse der Modalität nicht möglich… Da die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Raumzeit in der fundamentalen Realität nicht vorhanden ist, hoffe ich, dass Sie, geschätzter Leser, mir zustimmen, dass es sich lohnt, die metaphysischen Konsequenzen zu bedenken, zumindest wenn Sie meinen milden Naturalismus teilen. Ich hoffe, gezeigt zu haben, dass diese Konsequenzen bedeutsam und weitreichend sein können. (Übersetzt mit DeepL Translator)

s.u. S 253

→ Christian Wüthrich, When the Actual World Is Not Even Possible In: The Foundation of Reality: Fundamentality, Space, and Time.
Edited by: Glick, Darby, Marmodoro, Oxford University Press (2020). © Christian Wüthrich.
DOI: 10.1093/:oso/9780198831501.003.0014


Isaac Newton schließt von dem gravitativen Verhalten der Körper im Nahbereich auf entsprechendes Verhalten überall im Universum per Induktion, PSR. Zeitlebens blieb es sein großes Problem zu erfassen und zu erklären, was als Ursache hinter der Kraft der Gravitation steckt (vgl. Briefwechsel mit Richard Bentley). Die Beschreibung der Phänomene (vis impressa) und ihre mathematischen Formen (freie Fall, Planetenbewegungen) sind für ihn aber eindeutig beschreibbar und als Naturgesetz aufzufassen. Gibt es ‚mehr‘ zu sagen?

→ Janiak, Andrew, „Newton’s Philosophy“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2021 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/fall2021/entries/newton-philosophy/>.

„Fernwirkung“, „action at a distance“ bleibt für Newton unerklärbar. Differenz Newton / Leibniz gründet in der unterschiedlichen Auffassungen des Raumes: absolut (N) – relational (L) bzw. Diskretheit (atomistische Optik: N) – Kontinuum (Äther und Vortices: L). Sind das zwei Seiten einer Medaille oder eine einander ausschließende Alternative?

In der klassischen QT ist „action at a distance“, d.h. Nichtlokalität in EPR, faktisch gegeben ( „Naturgegebenheit“) ebenso wie Indeterminismus und Wahrscheinlichkeit, beschrieben in einer Wellenfunktion. → Holismus

→ Joseph Berkovitz, Action at a Distance in Quantum Mechanics, First published Fri Jan 26, 2007, rev. 2016 SEP
Berkovitz, Joseph, „Action at a Distance in Quantum Mechanics“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2016 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/spr2016/entries/qm-action-distance/>.

Weitere Fragen und Möglichkeiten:
Viele-Welten – Interpretation mittels „Kollaps“ der Wellenfunktion, u.a. aufgrund des „Messproblems“ (Everett) . –
(Un-) Möglichkeit, ein Quantensystem tatsächlich vollständig zu isolieren, auch von allen vergangenen Ereignissen. Einige sehen das nur in kosmologischen Dimensionen als gegeben (= Ereignisse älter als Erde & Mensch). –
Diese Interpretationen stellen die ‚subjektive‘ d.h. Perspektive- / Bezugssystem- / ‚Welt‘- bedingte Seite der QT heraus. Eventuell Parallele zur ART.


Newtons Physik (Lichtteilchen in seiner Optik) ebenso wie die modernsten Formen der QT stehen in der Tradition der griechischen Atomisten, der alten Naturphilosophen. Der Quantenphysiker Carlo Rovelli ist dafür ein eindrucksvoller Zeuge:

→ Carlo Rovelli, Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint, 2016 (it. Original 2014)

Er ist in seiner Darstellung der QT, insbesondere der LQG, in einem fortwährenden Dialog mit Demokrit, Epikur, Lukrez und sogar Anaximander („Apeiron“). Er stellt sich ausdrücklich in die Denktradition der Atomisten, ist doch „quantum“ nur ein anderes Wort für das, was die Alten als Atome = atomoi bezeichneten und als Grundelemente der geistigen (!) und materiellen Welt erkannten. Natürlich ist die QT ebenso wenig wie die ART eine Wiedergeburt der alten Atomtheorie oder des Einen, des Seins (Kontinuum) des Parmenides. Aber die Traditionslinien dieses Denkens sind deutlich erkennbar.

→ Sylvia Berryman, Ancient Atomism, First published Tue Aug 23, 2005, SEP rev. 2016
Berryman, Sylvia, „Ancient Atomism“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2016 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/win2016/entries/atomism-ancient/>.

→ Alan Chalmers, Atomism from the 17th to the 20th Century, First published Thu Jun 30, 2005; substantive revision Thu Oct 9, 2014 SEP
Chalmers, Alan, „Atomism from the 17th to the 20th Century“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2019 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/spr2019/entries/atomism-modern/>.


Quantenphysik – (c) nachgeholfen.de

Die Neuropsychologie steht stellvertretend für ein Themenfeld, das heute mindestens ebenso bedeutend ist wie die Quantenphysik und Aussichten auf ein verändertes Verständnis vom Menschen bietet. Als Beispiel und Hinweis auf den Stand der Forschung dient

→ Wolfgang Prinz, Bewusstsein erklären, Suhrkamp 2021

Der Psychologe Wolfgang Prinz, bis 2010 Direktor am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, beschreibt Bewusstsein als sozial evolviert, entstanden und entstehend gleichsam im Spiegel des anderen. Das Vernunftwesen Mensch hat seine Vernünftigkeit durch soziale Vermittlung, im sozialen Kontext. Repräsentationen des anderen und seines Weltzugangs dienen als Muster der eigenen Welt- und Selbstsicht, bilden den Ursprung des Selbstbewusstsein im Spiegel der Bewusstseins der Welt und des anderen. Das Ich und sein Selbst entwickeln sich im Blick auf den anderen durch wechselseitig bezogene Repräsentationen.

Modelle der Repräsentation verschiedener Ordnung und Stufung zur Erklärung des Mentalen aufgrund von Hirnfunktionen sind allgemein üblich und heuristisch plausibel und fruchtbar. Allerdings weiß bis heute niemand zu sagen, was Repräsentationen eigentlich genau sind, wie sie materiell realisiert werden. Dass sie auf irgendeine Weise physiologisch realisiert werden, scheint dabei außer Frage zu stehen. Der Geist mag noch so ‚autonom‘ sein – , konkret besteht nichts Mentales ohne Hirnfunktionen.

Neurologische und mentale Ebenen sind miteinander verbunden, aufeinander bezogen, voneinander abhängig, eventuell emergent und supervenierend. Trotz all dieser Beschreibungen des Mentalen und Zuschreibungen von Repräsentationen und ‚maps‘ (Antonio Damasio) bleibt die wirkliche Verknüpfung, also die basale neuronale Realisierung, bisher rätselhaft.

Für das spezifische Bewusstsein wird es entscheidend sein, die neuronalen Repräsentationsinhalte zu verstehen und Wege zu finden, die neuronalen Inhalte experimentell und explanatorisch mit phänomenalen Inhalten zu verknüpfen. Wir verfügen über Instrumente zur Manipulation neuronaler Inhalte, um den phänomenalen Inhalt zu beeinflussen, und auf diese Weise können wir beginnen [!], die neuronale Grundlage bewusster Inhalte aufzudecken.

Wayne Wu, siehe unten (eigene Übersetzung)

Wayne Wu, The Neuroscience of Consciousness, First published Tue Oct 9, 2018 , SEP
Wu, Wayne, „The Neuroscience of Consciousness“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2018 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/win2018/entries/consciousness-neuroscience/>.

Einigkeit besteht in den verschiedenen Ausrichtungen der Neuropsychologie darin, dass Körper und Geist, Sein und Bewusstsein, Mentales und Neurales nur monistisch (gegen Descartes) zu verstehen bzw. sogar holistisch zu interpretieren sind.

→ Thomas Fuchs, das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 5/2017

→ Antonio Damasio, Selbst ist der Mensch. Körper und Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins, 2010


Platon und Aristoteles sahen den Nous im Menschen mit dem universalen Nous verbunden: Die menschliche Nous-Seele ist ein Teil des universalen ‚göttlichen‘ Nous. Insofern hängen Kosmologie und Anthropologie ontologisch zusammen, auch dies eine Art ‚Holismus‘. Die breit aufgefächerten Traditionslinien allein dieser beiden Philosophen reichen bis weit in die Neuzeit, bis zu uns. Manche ihrer Ideen und Theorien bleiben philosophisch fundamental. Vor allem aber ist ihr umfassend ‚monistischer‘ Ansatz, insbesondere der Ausgang von einem einheitlichen Verständnis des Geistes im Universalen wie als „Geistseele“ im Menschen, einflussreich geblieben im Neuplatonismus, aber auch im Idealismus (z.B. Hegel) bis hin zur Prozessphilosophie von Alfred North Whitehead.

Diese Auffassung ist keineswegs selbstverständlich, weder auf dem Hintergrund des neuzeitlichen Dualismus seit Descartes, und schon gar nicht auf dem Hintergrund des modernen naturwissenschaftlichen Verständnisses von Mensch und Welt. Reduktionistische Erklärungen bieten zwar ebenfalls einen ‚Monismus‘, aber eben eines szientistischen, letztlich in der materiellen Physik grundierenden Weltverständnisses (Quine). In mancher Hinsicht bleibt die Erkenntnis des Empedokles gültig: „Gleiches wird durch Gleiches erkannt.“

[395] Gleiches durch Gleiches wird erkannt nach EMPEDOKLES: hê gnôsis tou homoiou tô homoiô (Aristot., De anim. I, 2; Met. III 4, 1000b 6; Sext. Empir. adv. Math. VII, 121), nämlich jedes Element eines Dinges durch das gleiche Element in uns. Nach ANAXAGORAS erkennen wir Gleiches durch Ungleiches, z.B. Wärme durch Kälte (vgl. Wahrnehmung). GOETHE: »Wär‘ nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt‘ es nicht erkennen.« Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche nimmt in gewissem Sinne SCHLEIERMACHER an (Philos. Sittenl. § 50).

http://www.zeno.org/Eisler-1904/A/Gleiches+durch+Gleiches

Dieses Prinzip spricht für den Monismus, welcher Art auch immer. Es könnte umso mehr auf die moderne Physik zutreffen, in der sowohl die SRT als auch bestimmte Formen der QT ein ‚relativistisches‘, vom Beobachter ausgehendes Weltbild erzeugen. Steckt die Relativität (der Bezugssysteme nämlich) schon im Namen der SRT, so weisen Nichtlokalität und Indeterminismus der QT darauf hin, dass von einer an jedem Raumzeitpunkt objektiv eindeutig und vollständig bestimmten Realität nicht die Rede sein kann: Auch die Gravitation ist körnig, wenn die LQG Recht hat. In gewisser Weise kehrt bei den verschiedenen Formen quantentheoretischer Modelle in ihrem Verhältnis zur ART insgesamt dieselbe Unbestimmtheit (oder Unterbestimmtheit) wieder, die schon beim Welle – Teilchen – Dualismus aufgetaucht ist.

Vielleicht kann man diese Erkenntnis zusammen mit Erkenntnissen der Neuropsychologie unter dem Gesichtspunkt der Relationalität zusammenbringen: Wie Relationen zwischen Ich und dem anderem bei der Entstehung von Bewusstsein eine entscheidende Rolle spielen und Selbstbewusstsein erst hervorrufen, so tauchen Relationen in der QFT, insbesondere der LQG, als letztlich fundamentale Gegebenheiten auf. Aus ihnen entstehen jeweils aktuell die emergenten Erscheinungen, die uns in Raum und Zeit als Subjekt und Objekt vertraut sind. Whitehead hat diesen Befund (wenn es denn einer ist) in gewisser Hinsicht schon vorausgedacht. Für ihn sind nicht Substanzen, sondern Prozesse und Relationen ontologische Basiskategorien.

Process and Reality: An Essay in Cosmology. New York: Macmillan Company, 1929. Based on the 1927–28 Gifford Lectures delivered at the University of Edinburgh. 

https://en.wikipedia.org/wiki/Alfred_North_Whitehead

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Letztlich, so scheint es, fließen alle diese bisher angedeuteten und kurz umrissenen Aspekte darin zusammen, dass der wechselseitige Bezug von erkennendem Menschen / Subjekt und ihn umgebender Welt / Umwelt die Struktur alles Wissens prägt. Das gilt auch für das Auffinden und Ausformulieren von Naturgesetzen. Diese Struktur ist ‚dialogisch’ bzw. relational im eminenten Sinn. Der menschliche Geist, seine verkörperte Erkenntnisfähigkeit, kann immer nur und ausschließlich das entdecken, ‚finden‘ und erkennen, was seiner Erkenntnisfähigkeit, seinen Denkstrukturen entspricht. Die Differenz von Beschreiben und Zuschreiben könnte aufgehoben sein in zwei Seiten von Repräsentationen. Das Repräsentat und das Repräsentierende befinden sich nämlich an einem gemeinsamen Ort, in einem gemeinsamen ‚verschränkten‘ Prozess – im erkennenden Subjekt, im menschlichen Geist. Insofern müsste man das Goethe – Zitat umformulieren: Wäre der Geist nicht strukturell Teil des Kosmos, könnte er die Welt in ihrer Struktur nicht erkennen. Die Gemeinsamkeit der Strukturen des Erkennenden und des Erkannten und ihrer wechselseitigen Relationen machen Erkenntnis überhaupt erst möglich. Meinte das vielleicht schon Aristoteles, wenn er von der νόησις νοήσεως νόησις (noesis noeseos noesis, Metaph XII, 9 1074 b 34), also vom Vorgang des „Erkennens der Erkenntnis des Erkannten“ sprach? Oder wie sind die Genetive objectivus und subjectivus anders in Beziehung zu setzen?

Vielmehr finden wir uns in einer Welt, die nur bedingt für uns Zusammenhänge aufweist, deren Zusammenhangslosigkeit wir jedoch nur schwer ertragen, so daß wir versuchen, Zusammenhänge zu schaffen. Wenn uns das gelingt und wir eine Fülle von ehemals zusammenhangslosen Wahrnehmungen und Situationen jetzt als Varianten einer einzigen von uns herstellbaren Situation beschreiben können, dann sagen wir, daß wir Gesetze kennen oder in den exemplarischen Situationen Gesetze gefunden haben. Zwar erzeugen wir die Experimentalsituationen und die Theorie, in deren Rahmen dann das Gesetzeswissen als Resultante auftritt, selbst. Doch die Probleme der Zusammenhangslosigkeit relativ zu einer bestimmten Theorie finden wir vor. In der Erkenntniseinstellung von Erkennenden als Mitspielern entfällt die Alternative von Idealismus und Realismus, sie wird ersetzt durch die von zwei Phasen des Mitspielens in der Welt: der desorientierten, in der wir ausgesetzt sind, und der orientierten, in der wir etwas geschaffen haben, das uns Orientierung gibt.

Michael Hampe, Eine kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs, 2007, S. 152

Michael Hampe scheint in eine ähnliche Richtung zu weisen. Vielleicht könnte man den Begriff der Verschränkung auch für die Erkenntnistheorie nutzbar machen. Eine relationale Metaphysik würde zu einer Ontologie führen, die das In-Beziehung-Sein aller an einem Erkenntnisprozess beteiligten Subjekte, Phänomene und ihre Knoten / Verknüpfungen zum Inhalt hat und definite Bestimmungen nur in einer eng umgrenzten ‚Wolke von Wahrscheinlichkeiten‘ zulässt. Entsprechend einiger Elemente der QT ginge es um die fundamentale Relationalität, Individualität (Diskretheit) und Freiheit (Indeterminismus) des denkenden Erkennens.


Nachtrag zum Thema Quantenphysik:

Cord Friebe • Meinard Kuhlmann • Holger Lyre • Paul Näger • Oliver Passon • Manfred Stöckler, Philosophie der Quantenphysik.
Einführung und Diskussion der zentralen Begriffe und Problemstellungen der Quantentheorie für Physiker und Philosophen, Springer Spektrum 2015


Der Artikel ist auch als PDF verbügbar.

.art – rev 02.22