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Erkenntnistheorie Philosophie

Funktion und Teleologie

Eine Übersicht

Funktion ist im Unterschied zu einer bloß kausalen Relation ein zufälliger oder absichtlicher Mechanismus. Unter „zufällig“ fasst man die natürlichen Funktionen. Man unterscheidet in diesem Sinne zwischen intentionalen und nicht-intentionalen Funktionen, wobei die nicht-intentionalen mit den natürlichen gleichgesetzt werden. Hier kommt die Teleologie ins Spiel. Dass absichtsvolles Handeln „teleologisch“, also zielgerichtet ist, ist nicht verwunderlich, sondern liegt bereits in der Intention des Akteurs begründet. Eine natürliche Aktion (Mechanismus), kann aber nach neuzeitlichem Verständnis nicht absichtsvoll (intentional) sein, weil es per definitionem keinen Urheber einer etwaigen Absicht gibt. Theismus und Deismus sind wegen der kausalen Geschlossenheit physikalischer Zustände und Vorgänge keine philosophischen Optionen. Natur verläuft demzufolge zufällig und ziellos, nicht-teleologisch. Was wie Ziele aussieht, sind entweder evolutionäre Entwicklungen (bestmögliche Anpassungen), oder Dispositionen bzw. Ermöglichungen (capacities), die je nach Zusammenhang so oder anders analysiert werden können.

Wenn Funktionen ein Spezialfall kausaler Beziehungen sind – und nicht-kausale Funktionen sind schwer vorstellbar–, fallen sie aber notwendig unter kausale Gesetze / Regularitäten. Etwas funktioniert nur dann, wenn es eine kausal analysierbare Ermöglichung dafür gibt. Das gilt für intentionale wie für nicht-intentionale Funktionen gleichermaßen. Was zeichnet dann aber eine nicht-intentionale Funktion aus im Unterschied zu einer Kausalrelation? Bei einer intentionalen Funktion ist das beabsichtigte Ziel bzw. das Wozu der Aktion (Teleologie) unmittelbar Teil der Funktion: Etwas (X) machen / konstruieren, um Y zu bewirken. Die Intention wird durch den „Ablaufplan“ (Programmablauf) verwirklicht. Inwiefern ist eine Funktion mehr oder anderes als ein kausal begründeter Effekt?

Zum einen ist es die Multirealisierbarkeit, die funktionale Rollen von deterministischen kausalen Relationen unterscheidet. Eine bestimmte Ursache hat einen definierten Effekt, wobei Effekte aus dem Zusammenwirken mehrerer Ursachen resultieren können. Für Funktionen ist es aber gleichgültig, in welchem Substrat sie realisiert werden. Entscheidend ist die Wirksamkeit der funktionalen Rolle innerhalb des umgebenden Systems. Selbst wenn diese Rolle in einem ähnlichen, aber leicht veränderten System nicht mehr genutzt wird, bleibt die Funktion als solche erhalten, es sei denn, die realisierenden Substrate fehlen oder die Funktion wird hinderlich für das Funktionieren des Gesamtsystems. Eine solche Dysfunktionalität kann also relevant oder irrelevant (Leerlauf) für das System sein.

Zum anderen ist es ihr Charakter als Prozess, also als Verkettung einer Vielzahl von Kausalrelationen, anders gesagt ihre ‚funktionale Rolle‘ in einem umgebenden System aufgrund koordinierter Kausalverhältnisse einschließlich ihrer dadurch bestimmten Möglichkeiten (capacities). Natürliche Funktionen sind dann Aktualisierungen von Dispositionen innerhalb eines übergeordneten Systems, gewissermaßen der „Ablaufplan“ eines kausal geordneten Prozesses. Im Unterschied zu intentionalen Funktionen liegt der Ablaufplan, das Programm, nicht bereits vor der Ausführung des funktionalen Mechanismus vor, sondern ist nur im Nachhinein zu analysieren, wenn es denn überhaupt so etwas wie einen ‚natürlichen Ablaufplan‘ gibt. Die Redeweise von „Dispositionen“ und “Ermöglichungen“ vermeidet ein teleologisches Missverständnis. Aber ist es ein Missverständnis? Müssen Funktionen ontologische Realitäten sein? Kausale Relationen sind es nach Humes Verständnis jedenfalls nicht, sondern vielmehr gewohnheitsmäßige Verknüpfungen, „Ideen“, („idea of effect“) der Vernunft. Demgegenüber ist für Kant Kausalität ein „Begriff a priori“, ohne den Ursachen unter den Erscheinungen nicht aufgefunden werden können, – also verankert in einem Vermögen der Vernunft. Insofern können auch Funktionen als mentale Zuschreibungen, das heißt als Strukturen verstanden werden, die unsere Ratio enthält und anlegt.

Teleologie – wie man sieht ein altes und modernes Thema…

Die Natur, wie wir sie kennen, ist die Natur, wie sie sich uns darstellt. Die objektivierende Form der Sprache ist in doppelter Weise missverständlich: Zum einen ist unser Blick auf den und in den Kosmos, seien die Mittel dafür inzwischen noch so verfeinert, immer der Blick aus der Perspektive des Menschen, also eines intelligenten Lebewesens an einer bestimmten raumzeitlichen Lokalität des Universums. Wir sehen, was wir sehen, vom Planeten Erde aus zu eben dieser Zeit. Zum anderen sehen wir nur, was wir sehen und verstehen können (und wollen). Es stellt sich somit die Frage nach dem Realismus unserer besten naturwissenschaftlichen Erkenntnis, nach der realistischen Ontologie der Naturgesetze – möglicherweise als einer Metapher ohne „Gesetzgeber“.

Wir sind als intelligente Wesen offenbar so „gebaut“, Sinnhaftigkeit mit intentionalen Abläufen und Programmen zu verbinden. Da ist dann der Mond „funktional“ dazu da, die Erde genau auf derjenigen Umlaufbahn zu halten, die für ein gedeihliches Leben von Wesen wie uns erforderlich ist; das kann des Mondes „Telos“ für uns sein. Der Ablauf der kosmischen Evolution von der ersten großen Inflation an lässt sich im Nachhinein als Programmablauf rekonstruieren, aus dem auch zukünftige Entwicklungen abgeleitet werden können, zumindest was die vorläufig weitergehende Ausdehnung des Kosmos betrifft. Unser raumzeitlicher Ausschnitt ist zu klein im Vergleich zur Erstreckung des Universums, um mehr oder Genaueres vermuten zu können. Aber auch teleologische Spekulationen sind dem Forscherdrang erlaubt, wie sie zum Beispiel Roger Penrose vorlegt.

Es erscheint als eine naheliegende Parallele, wenn wir auf diesem Hintergrund den Prozess der biologischen Evolution ansehen. Er ist zeitlich gerichtet und energetisch nicht reversibel. Die Entstehung des Lebens ist Teil eines evolutionären Prozesses, der in der Zeit verläuft, ebenso wie alles weitere Geschehen im Prozess der natürlichen Auslese und der epigenetischen und umweltbedingten Anpassung (EvoDevo). Vielleicht kann Leben als „Entropie-Aufschub“ dissipativer Systeme interpretiert werden. Vielleicht helfen Theorien der Selbstorganisation (aber von welchem „Selbst“ ist da die Rede?) und der zellulären Automaten, der Spieltheorie und der Fraktale weiter – und vieles mehr, was noch zu entdecken ist. Es ist ein schwieriger Bereich, zu dem es kaum etwas Abschließendes zu sagen gibt. Hier ist ein Grenzbereich der wissenschaftlichen Fachdisziplinen berührt, in dem unser Unwissen offenbar noch erheblich größer ist als unser Wissen.


Dies ist ein Auszug aus einem ausführlicheren Essay, der hier als PDF verfügbar ist: → FUNKTION.

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