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Grenzen der Religionsfreiheit

Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft

Religion gehört zu unserer Gesellschaft dazu, und die freie Religionsausübung wird von der Verfassung gewährleistet. Zunächst ist dies ein Individualrecht: Niemand darf zu einer bestimmten Religion gezwungen werden, und jedermann hat das Recht, sich einer Religion anzuschließen oder von ihr zu trennen. Eine Vorrangstellung oder Diskriminierung darf sich weder aus dem einen noch aus dem anderen Grund ergeben. Immer wieder ausgehandelt werden muss aber die Grenze zwischen öffentlicher und privater Religionsausübung. Hier bildet auch die Rechtsprechung das geltende Recht behutsam weiter.

Religion als Privatsache ist ein einfacher Slogan aus der französischen Aufklärung. Der französische Staat hat daraus mit seinem Prinzip des Laizismus die gesellschaftliche und rechtliche Konsequenz gezogen. Unstrittig ist aber auch in allen anderen europäischen Ländern (Ländern, die sich in irgend einer Weise der Aufklärung verpflichtet fühlen), dass die pivate Ausübung religiöser Handlungen wie Beten, Fasten, Andachten halten im eigenen Haus ebenso wie in kirchlichen wie anderen religiösen Gebäuden möglich und garantiert ist. Klar ist auch hierbei, dass der Rahmen von Recht und Gesetz auch im privaten Bereich gilt. Auch die Berufung auf Brauch und Herkommen kann keine vermeintlich religiöse Praxis etwa der Unterdrückung der Frau oder der Disziplinierung von Kindern rechtfertigen. Bei Übergriffen zu Hause können und müssen Polizei und Gerichte gefragt sein.

Was aber gilt für die öffentliche Ausübung religiöser Handlungen und Praktiken? Natürlich gilt auch hier in erster Linie Recht und Gesetz insbesondere in dem Rahmen, den unsere freiheitliche Verfassung festlegt. Bei uns gibt es die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten und von den Partnern verabredeten Zusammenenwirken von staatlichen und kirchlichen Organen, zum Beispiel in der Erteilung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen oder bei dem (kostenpflichtigen) Einzug der Kirchensteuern. Die religiöse Pluralität und Diversifizierung erzwingt aber ein neues Nachdenken über die Beziehung zwischen dem Staat, den religiösen Gemeinschaften und dem rechtlichen Rahmen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Die Frage stellt sich besonders angesichts der wachsenden Bedeutung des Islam. Die christlichen Kirchen befinden sich schon seit geraumer Zeit auf dem Rückzug aus dem öffentlichen Raum und aus der öffentlichen Wahrnehmung. Das mag auf dem Lande im katholischen Bayern zum Beispiel bei Prozessionen noch anders sein, aber in den Großstädten ist das öffentliche Auftreten des Christentums trotz seiner andauernden Bedeutung nicht mehr dominant. Man bescheidet sich mit Zurückhaltung, um keinen Anstoß zu erregen.

Kirche Moschee

Darum geht es nun aber vielfach genau dann, wenn man den Eindruck gewinnt, dass Muslime in der Öffentlichkeit ihre religiösen Praktiken demonstrativ und offensiv vertreten. Öffentliches Fastenbrechen, Forderung nach Gebetsräumen in Schulen, die Erwartung der Rücksichtnahme der Schulen auf den Fastenmonat, das Verbot der Teilnahme am Schwimmunterricht usw. sind solche Punkte. Hier geht es offenbar um ein demonstratives öffentliches Zurschaustellen und Beanspruchen von religiösen Handlungen und Gebräuchen zu missionarischen Zwecken. Letztlich geht es dabei auch um einen Machtanspruch, – zumindest den religiösen Diskurs zu bestimmen und Grenzen auszutesten. Hier waren Staat und Gesellschaft anfangs zu lax und zu blauäugig. Das hat sich inzwischen geändert.

Zum einen werden zum Beispiel Kleidungsvorschriften als Teil der religiösen Identität behauptet, obwohl es hier um ursprünglich regionale Sitten und Gebräuche geht (Türkei – Anatolien). Das Kopftuch der Russlanddeutschen gehört nicht in diesen Kontext, weil es nie religiös aufgeladen war. Auch die Mönchskutte gehört nicht hierher, weil sie erstens die große Ausnahme in der Bevölkerung ist und zweitens ersichtlich freiwillig und nicht diskriminierend getragen wird. Das kann man bei dem angeblichen Verhüllungsgebot der Muslime kaum behaupten. Hier müssen Staat und Gesellschaft einen neuen Umgang mit „religiösen“ Ansprüchen aushandeln und durchsetzen, wie es inzwischen weithin geschieht. Sitten und Gebräuche sind zwar nicht in jedem Falle trennscharf von religiöser Praxis zu unterscheiden, aber hier muss das Recht gelten, dass niemand religiös gezwungen oder diskriminiert werden darf. Gerichte müssen hier unter Umständen die einzelne Frau in einer muslimischen Gemeinschaft vor dem Anpassungsdruck dieser Gemeinschaft selbst schützen.

Es ist inzwischen klarer geworden, dass der Staat gerade auch in der Schule keinen religiösen Rabatt geben darf. Lehrer und Lehrerinnen sollten auf religiöse Symbole verzichten, Sexualkundeunterricht muss es für alle geben, Sport- und Schwimmunterricht für Kinder vor der Pubertät ist koedukativ zu gestalten. Dass das Zugeständnis zum Tragen einer Bade-Burka beim Schulschwimmen richtig und sinnvoll ist, darf man bezweifeln. Kinder müssen auch während des Ramadan in der Schule mit Essen und Trinken versorgt werden. Dass einer weiblichen Lehrkraft (von wem auch immer) der Handschlag verweigert wird, ist disziplinarisch zu ahnden. Kurz: Toleranz funktioniert nur in einem Freiraum, der gemeinsame Regeln für alle akzeptiert. Nur so kann das Miteinander der Religionen gedeihlich sein, auch wenn die Mitglieder religiöser Gemeinschaften aus unterschiedlichen historischen Zusammenhängen und gesellschaftlichen Verhältnissen stammen. Ein Fundamentalismus, der sich über die grundgesetzlichen Normen stellt, hat darin keinen Platz.

Ein abschreckendes Beispiel gibt die jüngste Vergangenheit der christlichen Kirchen. Die zahlreichen Missbrauchsfälle haben zu Recht zu einem immensen Vertrauensverlust gegenüber den Kirchen geführt. Hier haben Staat und Gesellschaft viel zu lange den Freiraum der Kirchen unbeaufsichtigt gelassen. Schuld sind allerdings allein die Kirchen, die diesen massenhaften Missbrauch bis in die jüngste Zeit zugelassen und gedeckt haben. Das muss dazu mahnen, nicht noch einmal unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Praktiken hinzunehmen oder gar zu dulden, die den Menschenrechten und Freiheitswerten der Verfassung eklatant widersprechen, sei es öffentlich, sei es privat. Heute ist diese Aufmerksamkeit gegenüber den segregativen Tendenzen vieler Muslime bzw. gegenüber dem konservativen, fundamentalistischen Islam dringend geboten.

Reinhart Gruhn

Update 07.05.2019: Bildung ist der Anfang von allem, auch der echten Religionsfreiheit. Siehe FAZ – Bericht über die ungenügende Integration an deutschen Grundschulen.