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Osterglaube

Glaubst du an den Auferstandenen? Das ist die Kernfrage an jeden Christenmenschen. Jesus, so viel man von ihm weiß, mag eine eindrucksvolle Ethik der Nächstenliebe und des Vergebens vorgelebt haben, aber das ist nicht das wirklich Besondere. Das tun andere Menschen auch, jedenfalls immer wieder, wenn auch selten genug. Menschliche Größe, wenn man ihr im normalen Leben begegnet, ist immer beeindruckend und – beschämend: weil man selbst so klein(lich) ist. Aber deswegen gibt es nicht das Bekenntnis zu Jesus Christus, nicht die Kirche, nicht Ostern. Alles steht und fällt mit dem Glauben an den Auferstandenen. – Kann man das denn glauben?

Ich könnte einfach sagen: Ja. Und jeder soll das dann für sich entscheiden, ob er / sie will oder nicht. Doch so individuell oder gar individualistisch funktioniert das mit dem Glauben nicht. Glaube ist abhängig von anderen Menschen, die einem etwas zeigen: eben den Auferstandenen – und ihren eigenen Glauben an ihn. Ohne deren Zeugnis, Vorbild, Ansage gäbe es wohl keinen Glauben an Jesus Christus. Von der „Wolke der Zeugen“ kommt man her, wenn man einen Weg sucht zu dem auferstandenen Christus.

Nun, auch die Vielen können irren, auch viele allein sind noch kein Argument. Richtig – aber sie sind doch ein Hinweis, dass von diesem Glauben, von diesem Auferstandenen Menschen zu allen Zeiten bewegt wurden und neu bewegt werden. Es könnte also etwas dran sein. Denn ohne den Auferstandenen gäbe es keine Christengemeinde, keine Kirche (welcher Denomination auch immer). Ihr Zeugnis weist einen Weg zum Glauben an den Auferstandenen. Gehen muss ich ihn selber, wenn ich denn will.

Zwei Gesichtspunkte fallen mir dazu ein. Der erste betrifft die Schriften des Neuen Testaments in unserer (der Christen) Bibel. Was darin über Ostern geschrieben steht und erzählt wird, ist schon eigenartig. Diesen Ostergeschichten hängt etwas merkwürdig Verhaltenes, Zurückhaltendes an. Da ist der Evangelist Markus, also der überlieferte Verfasser des Markus – Evangeliums, der seine Erzählung von Jesus damit enden lässt, dass Frauen am Ostermorgen erschrocken vom Grab Jesu fliehen, weil sie den Leichnam nicht finden, – und niemandem etwas davon erzählen. Die frühen Hörer dieses Evangeliums kannten natürlich auch die anderen Osterbotschaften, sie erkannten sofort, dass Markus hier etwas Eigenes ausdrücken will. Ostern ist nicht sofort glaubwürdig. Es ist eine verborgene Geschichte. Man kann erschrecken oder mit den Achseln zucken, sich abwenden und weglaufen.

Man kann aber auch auf die Hinweise achten, die bei anderen Erzählern der Ostergeschichten (ich spreche hier absichtlich nicht von Ereignissen) angesprochen werden. Der Auferstandene tritt nicht auf, er erscheint. Er erscheint, obwohl der Raum geschlossen ist. Er wird zuerst nicht erkannt. Er ist da wie ein besonderes Licht. Wenn er von seinen Freunden gesehen wird, dann wird das im Griechischen so formuliert, dass er sich sehen lässt, also mit der Aktivität auf Seiten des Auferstandenen. „Erscheinungen“ sind so ein Sich-sehen-lassen. Es sollen damit eben keine Gespenster beschrieben werden. Offenbar kann man den Auferstandenen auch verkennen. Erst wenn er sich zu erkennen gibt, sehen sie in ihm – Jesus. Bei der Art des Brotbrechens etwa. Weil er sich irgendwie fassbar manifestiert (gegenüber Thomas). Weil und indem er seinen Freundinnen und Freunden einen Auftrag gibt: Geht – erzählt – glaubt ihm und dankt Gott! Immer geht die Aktivität von dem aus, der sich zeigt und sich zu erkennen gibt. Man könnte sagen: Die Rede vom „Auferstandenen“ ist schon ein Akt der Reflexion. Wenn der, der am Kreuz starb, sich nach seinem Tod zu erkennen gibt und wirksam zeigt, dann ist er also nicht mehr wirklich tot. Das sagt „auferstanden von den Toten“. Er gibt sich zu erkennen als der, den sie schon kannten. Oder ist auch diese Identifikation schon Ergebnis einer Reflexion? Vielleicht eher das Ergebnis eines anfangenden Glaubens: Gott stellt sich auf die Seite dieses Menschen Jesus, gestorben auf Golgatha.

Kruzifix

Die zweite Beobachtung: Glauben ist immer ein Weg, ein Werden, ein Zunehmen oder Abnehmen. Denn neben dem Glauben steht der Zweifel. Dann kriegt man die Kurve nicht, sondern verliert Gott aus dem Blick über all dem, was einen sonst erfüllt, bewegt, ärgert oder in Beschlag nimmt. Dabei geht es bei den Ostergeschichten, bei dem Glauben an den Auferstandenen (bleiben wir ruhig bei der traditionellen Redeweise) einzig und allein um Gott: was er tut, wie er sich darstellt, vorstellt, definiert. Gott tritt an die Seite des getöteten Jesus. Er tritt an die Seite der hoffnungslosen Freunde. Die Freundinnen denken wenigstens noch praktisch und wollen den Leichnam salben. Gott tritt an die Seite der Menschenfreundlichkeit und Vergebungsbereitschaft dieses Jesus aus Nazareth. Er stellt sich zu dem, den die meisten seiner Zeit als Schwächling und Verführer (great pretender) ablehnten. So nicht, sagten und dachten die meisten von Gott – oder von dem, den sie dafür hielten. Denn das ist dieser zweite Aspekt: Gott zeigt sich in einem großen, weit aufgeschlagenen Mantel. Nicht in einem Königs- oder Präsidenten-Anzug, sondern eher einem Mantel, der einem hellen Festgewand gleicht, in dem man sich gerne einhüllen mag. Gott gibt in diesem weit geöffneten Mantel Raum für unsere Vorstellungen und Träume, für Hoffnungen und Ziele, für große Ideen und Kraft, – aber auch für Zweifel und Mutlosigkeit, für Kleinmut und Angst zu versagen, für Elend und Krankheit, die Menschen so sehr plagen können. All das passt in Gottes weiten Mantel. Jesus trägt ihn, wenn er als der Auferstandene angesprochen wird. Gewissermaßen ist er auf diese Weise Gottes Angebot an die Welt: Lernt Gott kennen in seiner Menschlichkeit! Seht ihn als Gekreuzigten und dennoch Lebendigen, wie nur irgend etwas lebendig und wirksam sein kann! Erkennt den Menschen darin, seinen Adel und sein Elend, aber eben den Menschen, der Gottes Gleichnis ist, sein Ebenbild und Wunschbild. Für all dies, für alle diese Zeichen und Hoffnungen steht der Satz: Ich glaube an den Auferstandenen.

Dann mag ich wohl auch alle möglichen eigenen Fragen, Wünsche und Bilder in diesen Mantel hineinlegen, mein Gottesbild hinein projizieren, das geht wohl gar nicht anders, wo Menschen mit Phantasie und Mut bei der Sache sind. Sie – Wir müssen nur aufpassen, nicht zu weit zu gehen und Gott Gott sein zu lassen und nicht unser Zerrbild. Er bietet den weiten Mantel, in dem wir geborgen sind, den wir uns aber nicht zurechtlegen können; der Auferstandene ist von der Art, dass er zwar bisweilen die Züge dieses Jesus trägt, aber auch nach menschlichem Mutwillen die Fratze des Teufels tragen kann als Idol von Herrschaft und Vergewaltigung. Der Auferstandene, der sich nur unscharf zu erkennen gibt, verleitet auch zu Missverständnissen mit unseren Allmachts – Phantasien. Gott hat sich als Mensch an der Seite des Menschen sehr angreifbar, sehr missdeutbar, sogar oft verächtlich gemacht. So kommt das, wenn Gott menschlich wird, einer von uns und für uns, und ist nicht zu vermeiden.

Osterglaube führt nicht in den Triumph und in unüberwindbare Stärke und Sicherheit. Ich glaube an den Auferstandenen, das sagt dann so viel wie: Ich glaube trotz aller schrecklichen Erfahrungen an die Menschlichkeit des Menschen, wie Gott sie eigentlich gedacht hat; ich glaube trotz aller Abgrenzungen und Abwertungen an das einigende Band von Liebe und Vertrauen; ich glaube trotz eigenen Zweifels und Leidens an eine Zukunft, die Gott sich besser denkt, als es Menschen je für möglich halten. Ich glaube, dass das Leben uns verbindet mit allem, was lebt, dass wir auf dem langen Weg sind, das Wunder der Liebe und des Lebens mit dem Tod und jenseits des Todes zu entdecken. Die Kraft dieser Phantasie steht für Gott, Glaube und Ostern, sie lässt hoffen, gründet Gemeinschaft, macht richtig froh. Osterfreude halt!

Reinhart Gruhn