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Einheit und Vielfalt

Seit Langem gibt es das Bemühen, eine „Theorie von allem“, TOE (theory of everything) aufzustellen. Das kann sich im engeren Sinne auf die Physik beziehen, wo darunter eine Vereinheitlichung nicht nur der Teilchenphysik (was als gelungen gelten kann), sondern vor allem der vier Grundkräfte verstanden wird. Die „Weltformel“ spukt dann und wann als Thema des Feuilletons durch die Medien. Sodann gilt es, ganz allgemein gesprochen ‚Relativitätstheorie‘ und ‚Quantenphysik‘ miteinander auszugleichen, was zugleich die Frage nach der Alternative von kontinuierlichem oder diskretem Verständnis der Materie aufwirft. Über die Physik hinaus gibt es aber auch in der Erkenntnistheorie das Streben nach Vereinheitlichung, hier verstanden als Vereinheitlichung der Wissenschaft. Im angelsächsischen Raum ist dies zumeist als Votum für den physikalistischen Naturalismus gemeint. Aber auch der kontinental-europäische Strukturalismus und erst recht das Theorienensemble unter dem Oberbegriff „Systemtheorie“ wollen einen einheitlichen Zugang zur wissenschaftlichen Welterkenntnis bieten. Dem stehen Konzepte des Pluralismus sowohl der Methoden als auch der wissenschaftlichen Grundüberzeugungen gegenüber, teils aus liberalem, teils aus mehr skeptischem Antrieb. Dennoch ist das Streben nach Vereinheitlichung stark und zeigt sich in der lang andauernden Auseinandersetzung mit Reduktionismus-Konzepten insbesondere (aber nicht nur) im Bereich der Hirnforschung im Verhältnis zur Philosophie des Geistes; was Konzepte und Ziele betrifft, geht Letztere gewiss über das hinaus, was enger gefasst unter theory of mind verstanden wird.

Seerose
Seerose (c) R.G.

Was macht die Faszination der „Vereinheitlichung“ aus? Warum sind Menschen bestrebt, eine einheitliche, wissenschaftlich begründete Weltsicht zu präsentieren – einmal vorausgesetzt, es ließe sich überhaupt sachgerecht über „die Welt“ reden (was Markus Gabriel bestreitet). Ist es das rational verständliche Bemühen, Widersprüche zu vermeiden? Widerspruchsfreiheit ist gewiss für die Theorienbildung, für jede Theorie in sich erstrebenswert oder gar notwendig (unter Voraussetzung zweiwertiger Logik), aber ist es ebenso wünschenswert und „notwendig“, ein einheitliches theoretisches Dach zu postulieren oder zu schaffen, unter dem sich alle Theorien anderer Ansätze und Sachgebiete vereinheitlicht und widerspruchsfrei versammeln können? Nun kann ja Vereinheitlichung zunächst als Verbesserung und Korrektur angesehen werden. Der Fortschritt in den Naturwissenschaften vollzog und vollzieht sich mit ganz erheblichen Veränderungen in den Basistheorien, sodass manche älteren Theorien gänzlich verändert und aufgehoben werden. Ein solcher „Paradigmenwechsel“ (Kuhn) ist aber vermutlich seltener als angenommen, denn meist wirken Teile einer alten Theorie in einer neuen fort, umso mehr, wenn die ältere Theorie einen leichteren Zugang zur Erklärung empirischer Befunde im ’normalen‘ Bereich bietet (klassische // relativistische Physik). Die lange Diskussion über Reduktionen zeigt, wie schwierig es ist, überhaupt einen einheitlichen Reduktionsbegriff zu formulieren und an vorhandenen Theorien zu bewähren. Allein im physikalischen Bereich muss man da schon sehr vorsichtig sein ob der Vielfalt der Formen solcher Vereinheitlichungen bzw. Reduktionen (vgl. Erhard Scheibe). Unproblematisch ist es offenbar dort, wo Theorien sowohl in ihren Grundlagen als auch in ihren Auswirkungen auf Anwendungsbereiche Verbesserungen, Verfeinerungen, Anpassungen darstellen. Die Naturwissenschaften in ihren verschiedenen Fächern verfahren da ziemlich pragmatisch und instrumentell, was die Anwendung unterschiedlicher Theorien angeht. Dabei ist es wesentlich, zu unterscheiden zwischen epistemologischen Ansätzen und ontologischen Ansprüchen: Geht es jeweils „nur“ um die Verbesserung, Verfeinerung, Veränderung von Theorien, insbesondere in ihren mathematischen Formulierungen auf der Ebene gedanklicher Konstruktion, oder steht jeweils die möglicherweise dahinterstehende Ontologie zur Debatte, und meint dann Vereinheitlichung nicht nur die der Theorien, sondern die Vereinheitlichung der Wirklichkeit? Dann kommen sehr schnell Weltbilder ins Spiel, die als metaphysische Voraussetzungen und Grundannahmen unausgesprochen Regie führen. „Physikalismus“ meint als Sammelbegriff eben mehr als nur eine Theorienreduktion, der Begriff bezeichnet faktisch die Weltanschauung der Reduktion aller Dinge (der Welt) auf die Grundeinheiten und Axiome der Physik. Eine solche ontologische „Vereinheitlichung“ ist sicher in hohem Maße problematisch und kaum überzeugend darzustellen.

 

Noch einmal: Was macht dennoch die bleibende Faszination der „Vereinheitlichung“ aus? Eine mögliche Antwort hängt damit zusammen, wie sich der Mensch in der Welt verortet, wie er sich ’seine‘ Welt aneignet und wie er mit seiner gedanklichen, geistigen Arbeit Erkenntnis gewinnt und die Welt strukturiert. Dabei ist es zweifellos so, dass der Mensch mit seinem Gehirn denkt und alle geistige Arbeit verrichtet. Strittig wird es erst, wenn Mentales, hier im weiteren Sinne verstanden als geistige Aktivität, auf neurophysiologische Prozesse ‚reduziert‘, womöglich mit ihnen identifiziert wird. Hier reicht es jetzt aus, die unauflösliche Verbindung von Denkprozessen mit Hirnvorgängen festzustellen, ohne weiterhin zu klären, wie das im Einzelnen zu beschreiben ist (z. B. Supervenienz). Stirbt der Mensch, versagt auch das Hirnorgan (für die Feststellung des Todes ist es sogar umgekehrt). Das mit diesem Organ einst Erdachte und Produzierte, sei es gedanklich, sei es künstlerisch, wird weiterexistieren, sofern es in Wort, Schrift, Bild oder Tönen gefasst und aufbewahrt ist. Dies zeigt den Doppelaspekt des Geistigen, dem darum schon im lebendigen Menschen Rechnung zu tragen ist: mit dem Biophysischen verbunden zu sein, aber zugleich eine Eigenständigkeit zu besitzen, die einen eigenen Bereich kennzeichnet. Dieser Doppelaspekt hat Auswirkungen. Einerseits ist das Denken ein Vorgang, der auf neurobiologischen Prozessen, Verbindungen und Strukturen beruht (offen gelassen, wie das „beruht auf“ genauer zu verstehen ist). Dadurch verhält sich der Mensch nicht nur als ein bewusstes Lebewesen, sondern vor allem als ein seiner selbst bewusstes, sich selbst denkendes Lebewesen. Die Strukturen seines Denkorgans, des Gehirns in allen seinen Teilen und Funktionen (Gefühl, Erinnerung, Erwartung usw.), geben also zumindest den Rahmen, vermutlich auch die Strukturen des Denkens selbst weitgehend vor. Wie weitgehend, genau das gilt es näher zu klären. Denn nun kommt der zweite Aspekt des Geistigen ins Spiel: Das Vorgestellte, Gedachte, Erkannte, Gestaltete, Gebildete, ist eine selbstständige Entität. Es sind Erinnerungen, Befürchtungen, Hoffnungen, es sind strukturierte Gedanken über sich selbst (Selbstbilder) und über die Um-Welt (Weltbilder), wobei die Reihenfolge hier vermutlich umgekehrt, zumindest reziprok ist (vgl. V. Gerhard); es sind Vergegenständlichungen in Form von Reflexionen, Betrachtungen und Theorien; es sind Vergegenständlichungen in Formen der Kunst, also in Sprachgeschichten und Gedichten, Bildnissen und Plastiken, in Tönen und musikalischen Kompositionen. Textschrift (Buchstaben) und Tonschrift (Noten) sind dabei die Mittel der dauerhaften Äußerung und Vergegenständlichung, die Kunstgegenstände an sich schon besitzen. Wer lesen kann, dem eröffnet sich die geistige Welt dessen oder derer, die ihre Gedanken und Bilder eben in Worte gefasst und in Schrift umgesetzt haben. Wer Noten lesen kann, dem eröffnet sich die Welt der Klänge und Harmonien schon beim Lesen, wiewohl Kunst mehr als Gedankentexte auf Rezitation und Vortrag angewiesen ist, um zum vollen Ausdruck zu kommen. Über das Verhältnis geistiger Gegenstände in Text oder Ton und Bild(nis) ließe sich noch weit mehr sagen, wir bleiben hier aber noch etwas beim ‚theoretischen‘ Denken selbst.

„Theôria“ bedeutet im Altgriechischen Schau, Betrachtung, hat etwas mit ‚Sehen‘, äußerlich gegenständlich wie innerlich geistig zu tun. Wenn man sich Gedanken macht über etwas, stellt man sich etwas bildlich vor, wie überhaupt Bilder und ‚Karten‘ (maps) vielleicht diejenigen Strukturen sind, die das Gehirn mit dem Gedachten ursprünglich verbinden (A. Damasio). Im Denken meiner selbst befinde ich mich also in einem Zirkel: Das Gehirn mit seinen Strukturen und Prozessen ist das entscheidende Vehikel, mittels dessen ich über meine Umwelt und mich selbst Betrachtungen anstelle und Theorien aufstelle. Insofern sind die Strukturen des Denkaktes zugleich Grundlage und Limit des Gedachten. Das besagt schon der Satz des Vorsokratikers Empedokles: hê gnôsis tou homoiou tô homoiô – Gleiches wird durch Gleiches erkannt (Text bei Aristoteles, De Anima). Vereinfacht gesagt: Wir können nicht mehr und anderes denken, als es unsere Synapsen und Schwingungen der Hirnströme zulassen. Nun kommt aber die Eigendynamik des inhaltlich Gedachten hinzu. Das Gedachte, die Theorie, sei es ‚Betrachtung‘, sei es ‚Spekulation‘, sei es moderne wissenschaftliche ‚Analyse‘, kann und wird jeweils ganz eigene Strukturen erdenken und ausdrücken. Das macht gerade die Kreativität menschlichen Denkens aus, über die eigenen Grenzen hinausdenken zu können, sich selbst zu transzendieren. Ideen, Phantasien, Visionen – all dies sind geistige ‚Gegenstände‘, also das, was das Denken als Gedachtes aus sich heraussetzt. Die Lehre Platons von den Ideen hat das einzigartig formuliert, auch wenn man ihm in Gänze nicht mehr folgen möchte und die Substanz gebundene Form des Aristoteles vielleicht praktischer ist. Entscheidend für unsere Überlegung ist hier, dass sich der Doppelaspekt des Geistigen ambivalent auswirkt: Der Denkakt ist an die Strukturen und Grenzen des neurobiologischen ‚Substrats‘ gebunden, die Gedanken und Ideen können darüber hinausgehen und neue Strukturen und Konstrukte erschaffen – die Voraussetzung dafür, als homo faber tätig zu werden und Gedanken und Theorien ins weltliche Werk zu setzen. Mindestens zwei Fragen bleiben dabei aber offen: 1. Wieweit geht die geistige Unabhängigkeit wirklich? und 2. Welche Illusionen werden dadurch möglich?

Es ist zum Allgemeingut des Wissens geworden, dass soziale Gegebenheiten, insbesondere das soziale Umfeld, den Menschen maßgeblich beeinflussen und mitprägen, und zwar in allem, was er sich vorstellt, denkt und tut. In welchem Ausmaß und in welchen Grenzen das geschieht, braucht hier nicht erörtert zu werden. Da liegt die Vermutung nahe, dass auch unsere biophysische Ausstattung maßgeblich an den Fähigkeiten und Grenzen des Denkens beteiligt ist. Wieweit geht tatsächlich die Fähigkeit, die im Gehirn angelegten Strukturen und Prozesse zu transzendieren, oder andersherum, wie plastisch, anpassungsfähig und wandelbar muss das Gehirn als Denkorgan des Menschen sein, um einen solch plastischen, anpassungfähigen und phantasievollen Menschen hervorzubringen, wie er nun einmal ist? Liegen die Strukturen und Gesetze der Mathematik (zum Beispiel) bereits als Schaltmöglichkeiten im Gehirn vor oder entwickeln sie sich fortwährend eigendynamisch und eigengesetzlich als ‚mathematische Ideen‘ fort? Werden Zahlenverhältnisse entdeckt oder erfunden – oder beides? Platon hatte es einfach, für ihn sind Zahlen und die „platonischen Körper“ Inbegriff der eigentümlichen Ideenwelt. Sind sie das oder sind sie nur ‚genial‘ vom menschlichen Geist konstruiert? In welche Zwickmühlen kann das Nachdenken über Möglichkeiten und Grenzen geistiger Unabhängigkeit (also der Eigenständigkeit der Gedanken, und Theorien) führen, wenn beim Erforschen der natürlichen Welt immer wieder Unvereinbarkeiten auftauchen – zwischen Welle und Teilchen, zwischen Quanten und dem raumzeitlichen Kontinuum, zwischen Wahrscheinlichkeiten, lokalen Kausalitäten und einem wirklichen, nicht-lokalen Zufall (N. Gisin)? Die moderne Physik ist voll von solchen (scheinbaren?) Unvereinbarkeiten, und die Genetik, Neurobiologie und Biophysik stoßen auf überraschend wandelbare Strukturen – mehr als auf festgelegte Funktionen. Welche Konstanten unsere natürliche Welt wirklich beherrschen, ist in der Kosmologie ebenso rätselhaft wie fragwürdig, inwieweit es wirklich Konstanten sind – usw.. Nicht zuletzt ist die genaue Weise der Entstehung des Lebens bisher ebenso unverstanden wie die Art und Weise, in der Physisches und Geistiges tatsächlich interagieren, korrelieren, supervenieren, wie auch immer. Theorien gibt es viele, aber vielleicht auch ebenso viele Widersprüche und Fragezeichen. Wie wird Unvereinbares vereinbar? Die Logik hilft hier in der Epistemologie, aber weniger in der Ontologie. Da wird die Metaphysik wieder lebendig als das, was den fragenden, suchenden, forschenden Geist vor-einnimmt und letztlich immer wieder (unausgesprochen) bestimmt. Die geistige Unabhängigkeit (unsere erste Frage) bleibt also als etwas durchaus Ambivalentes bestehen. So könnte es sein, dass die Wirklichkeit, wie sie sich uns anschaulich (theôria) zeigt und uns forschend und erkennend begegnet, selber in sich ambig, nicht nur ambivalent ist und uns in dieser letzten Ungreifbarkeit und darum auch Unbegreiflichkeit fordert, lockt und – narrt. Dann wäre der Zirkel des sich mittels Gehirn selbst erkennenden Geistes nur das geringste Problem.

Daraus ergibt sich die zweite Frage: Welche Illusionen werden dadurch möglich? Es sind eigentlich nur zwei: die der Überforderung und die der Unterschätzung. Sie hängen zusammen, weil sie nur in zwei unterschiedliche Richtungen zielen. Es wird eine Überforderung des Denkens und jeder möglichen Theorie sein, alles in eins zu fassen. Was so ambivalent ist wie die geistig-physischen Prozesse des Denkens und zugleich so ambig ist wie die ins Visier genommene Wirklichkeit, lässt keine eindeutige Antwort erwarten. Die Suche nach der ‚Weltformel‘ oder TOE ist aus dieser Sicht eine Illusion. Den erkenntnistheoretischen Generalschlüssel dürfte es kaum geben. Es scheint ein Wunschtraum zu sein, angelegt in den Strukturen unseres Denkvermögens, geboren aus der „synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption“ (I. Kant, siehe unten). Zugleich liegt darin eine Unterschätzung dessen, was wir „Wirklichkeit“ oder „Natur“ im allgemeinen Sinn nennen. Es ist damit nicht gemeint, dass der Mensch sozusagen im letzten Bruchteil einer Sekunde seit dem Entstehen und in einem Wimpernschlag des Bestehens des Kosmos existiert und daraus ein Gesamtverständnis des Kosmos und seiner eigenen Welt und Rolle darin erkennen und beurteilen zu können glaubt. Man könnte dies allenfalls als einen Nebengedanken, als eine zur Bescheidenheit mahnende Beobachtung am Rande, gelten lassen. Bedeutender ist die wachsende Erkenntnis, und zwar ausdrücklich in den Naturwissenschaften selbst, dass das, was man sich darin zu erforschen, zu erklären, zu erhellen, zu begreifen, möglichst auch widerspruchsfrei mathematisch zu beschreiben vorgenommen hat, dass sich dies immer wieder einer letzten Eindeutigkeit entzieht. Man kann das auf das bisher noch unzureichende Wissen oder die jeweilige Vorläufigkeit aller Theorien (bis zum Erweis des Besseren) zurückführen und den Gedanken einer möglicherweise prinzipiellen letzten Ambiguität und also Undurchsichtigkeit der Naturverhältnisse und Naturgegebenheiten als voreilig oder pessimistisch, auf jeden Fall aber als unwissenschaftlich ablehnen. Der Fortschritt schreitet unaufhörlich fort, so ist das wohl. Sowohl erkenntnismäßig als auch technisch wird gewiss noch Ungeahntes möglich werden. Die möglichen Ergebnisse, und zwar alle, bleiben stets so unsicher, wie es jedem induktiven Verfahren eigen ist, und jede Theoriekonstruktion taugt so lange etwas, wie ihre Gültigkeit nicht widerlegt ist (Popper). Insofern gründet sich die zweite Frage nach den möglichen Illusionen zwar auf einer nicht abgesicherten Vermutung, aber dennoch auf guten Gründen.

Das Streben nach Vereinheitlichung einer überwältigenden Vielfalt an Erscheinungen und Theorien ist dem Menschen offenbar eingepflanzt, und das mag auch gut sein. Es hat sich bisher als äußerst produktiv erwiesen, wenn auch produktiv hinsichtlich vieler Sackgassen. Darum ist wahrscheinlich derjenige theoretische Versuch am überzeugendsten, der sich von vornherein Grenzen setzt und sich in seinem begrenzten Feld um größtmögliche Genauigkeit bemüht. Das gilt für den Begriff der Reduktion ebenso wie für jede andere Definition von Begriffen oder Erklärung von Sachverhalten. Zum Glück haben wir dafür zwei ‚Werkzeuge des Geistes‘ zur Verfügung, die es an Vielfalt und Ambiguität mit jeder anderen Wirklichkeit aufnehmen können: Phantasie und Sprache …

Reinhart Gruhn

 


Immanuel Kant über die „Sythetische Einheit der transzendentalen Apperzeption“

Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und worauf in Beziehung alle Vorstellung von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen. … [Diese] transzendentale Einheit der Apperzeption [stiftet] einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen…. [Diese Einheit wäre nicht möglich,] wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d. i. den Begriff von Etwas, darin sie notwendig zusammenhängen; denn das Gemüt könnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen, und zwar a priori, denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht. (zitiert nach KrV 1. A. tr. Anal. 1. B. 2. H. 2. Abs. 3)