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Bewusstsein Philosophie

Was ist Bewusstsein

[Philosophie]

Die Debatte darüber, was denn die Eigentümlichkeit des Bewusstsein sei, ist einfach faszinierend. Die Philosophie des Geistes (PhdG) nach analytischer Methode hatte in ihrer Hoch-Zeit viel Neues zu bieten, auch wenn man heute nicht mehr alles so übernehmen möchte und überzeugende Lösungen vermisst. Noch immer stehen da erratisch die drei Sätze von Peter Bieri (1971 / 1991), das „Bieri-Trilemma“ (Th. Metzinger 2007):

  1. Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene.
  2. Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam.
  3. Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.

Sie können nicht alle drei wahr sein, somit scheinen sie ein unlösbares Problem anzuzeigen. Es gibt dazu inzwischen reichlich Literatur, gerade auch zur Wiederkehr des nun wieder „Leib – Seele – Problem“ genannten Themas. Man kann sich eine Übersicht verschaffen über ontologischen oder auch „nur“ epistemischen Dualismus, physikalischen Realismus, den semantic ascent, Epiphänomenalismus, Funktionalismus, eliminativen Materialismus und sogar einen „Homunktionalismus“ (W. Lycan), eine Verballhornung von Homunkulus und Funktionalismus. Man kann sich dem Thema von der wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretischen Seite oder sogar wieder von der ontologisch – metaphysischen Seite nähern. Beim Fortschreiten der Neurowissenschaften verlagert sich der Schwerpunkt der Thematik auf die aktuellen Ergebnisse der Kognitionswissenschaften, das heißt auf den mehr interdisziplinären Zugang zur Erforschung des Geistes über die Neurologie, Psychologie und den Computationalismus (Informatik / KI).

Je mehr man sich in die Thematik vertieft, desto ratloser kann man werden. Dies weniger wegen der Vielzahl der unterschiedlichen Modelle und Theorien, die einem heute, nach mindestens 40 Jahren, präsentiert werden und anregend zu lesen sind, dabei bisweilen phantastisch und phantasievoll anmuten können, und das trotz aller Exaktheit der Begriffe, Fragestellungen und analytischen Argumentation. Eher könnte einen verunsichern, welche gedanklichen Verrenkungen und herbei gezogenen Beispiele („Hirn im Tank“, „Zombie“) bisweilen bemüht wurden, um das Problem doch eigentlich klarer und eindeutiger zu beschreiben – es gelingt offenkundig nicht. Da ist es gut nachvollziehbar, denjenigen zuzustimmen, die das ganze Leib-Seele-Gerede und die Suche nach dem „irreduzibel“ Mentalen als ein rein rhetorisches Scheinproblem ansehen („Alltagspsychologie“) und es damit aus der Welt, zumindest der wissenschaftlichen, heraus schaffen wollen. Immer noch ist das Zutrauen groß, dass da, je mehr man naturwissenschaftlich forschend in die Funktionsweise des Gehirns eindringt, immer nur Physik und Funktion zu finden ist, übersetzbar in Repräsentation und Semantik, und sonst nichts. Das Geheimnis des Geistes und das Rätsel des Bewusstseins – eine Chimäre, ein Ergebnis falscher Vorstellungen?

Ich bin dadurch keineswegs zufrieden gestellt, und möchte kurz begründen, warum nicht.

1. Indem ich ein Problem definitorisch ausklammere, habe ich es nicht gelöst. Es geht ja nicht darum, eine möglichst konsistente philosophische Theorie zu entwickeln und lebensweltlich Unpassendes dabei als „vorwissenschaftlich“ heraus zu werfen, sondern gerade die Erfahrungen und Erscheinungen unserer Lebenswelt zu beschreiben und zu erklären. Dabei gehe ich davon aus, dass unsere sprachliche Bewältigung der Lebenswelt („Alltagssprache“) nicht total an der Wirklichkeit vorbei geht, also nicht nur schöner, aber unwissenschaftlicher Schein ist. Wissenschaft hat es mit Erkenntnis und Wissen zu tun, das bezogen ist auf die Welt unserer Erfahrung (ohne hier fest zu legen, was alles als Erfahrung zu gelten hat). Wenn das verfehlt wird, ist es ein Glasperlenspiel.

2. Immer wieder stoße ich auf das, was man den „mereologischen Fehlschluss“ nennt (Metzinger u.a., ausgehend von Donald Davidson). Die Physiologie und Funktionsweise des Gehirns bzw. des gesamten Nervensystems betrifft ein Organ bzw. ein organisches System. Das Gehirn selbst denkt, fühlt, meint für sich genommen ebenso wenig wie die Beine gehen oder das Auge sieht. Der Mensch als Ganzes (Person, Subjekt) ist es, der mit seinem Kopf denkt, empfindet, meint, der mit den Beinen geht und mit den Augen sieht. Für Teile gilt nicht dasselbe wie für das Ganze, schon gar nicht bei einem Lebewesen („lebt“ die Niere?) wie dem Menschen. Daher stellen sich die Fragen nach der Personhaftigkeit und Integrität, nach Absichten und Verhalten, nach Autonomie und Moral des Menschen auch für eine PhdG (vgl. Bieri 1991).

3. Verbunden mit dem mereologischen Fehler ist häufig ein Kategorienfehler. Materielle Grundlagen und Funktionen können mit Prädikaten beschrieben und mit Eigenschaften versehen werden, die für einen bestimmten wissenschaftlichen Zugang, sei es physikalisch, biochemisch, psychologisch, kognitiv usw., eine kohärente Begriffsbildung ermöglichen. Über Sprache und Denken, Empfinden und Meinen aber ist weder dieselbe noch eine vergleichsweise präzise Begrifflichkeit möglich. Alltagssprache ist nicht Logik und Funktion. Erlebnisse sind, unabhängig von ihrer „Erzählung“, unverwechselbar persönlich und manchmal nur mit einer „Privatsprache“ (trotz Wittgenstein) annähernd in Worte zu fassen. Dichtung und Literatur zeigen das in vielfältiger Weise. Über die menschliche Person und ihre Konstitution durch „Öffentlichkeit“ (vgl. V. Gerhardt), über reflexives Bewusstsein und die Konstitution von Moral wird in anderen Begriffen und Kategorien zu reden sein als über die neurologische Fundierung mentaler Phänomene.

4. Wenn man den Bereich des Geistes philosophisch erfassen und aufklären will, darf man nicht nur den Ausgang bei der „realen Physik“ nehmen. Ein solcher Naturalismus definiert bereits vorab das, was als Wirklichkeit in ihm vorkommen kann und schließt andere Bereiche des Zugangs zur Wirklichkeit aus. Der erstaunte Ausruf „Wie, es gibt da noch andere Bereiche?“ kann allenfalls zeigen, dass man sich bereits erkenntnistheoretisch festgelegt und entschieden hat. Dabei geht es hier nicht um Mystik und Esoterik, sondern um die notwendigen Grenzen naturwissenschaftlicher Methodik und sprach-logischer Analytik. Nicht zuletzt deswegen hat sich ein Realist und Positivist wie Karl Popper stets dagegen gewehrt, sich in der Philosophie des Geistes auf „Worte und Begriffe“ festlegen zu lassen („Ich streite mich nie über Worte und ich definiere Worte niemals“.)

5. Die erneute Debatte darüber, ob die Physik etwas über die „wirkliche“ Natur herausfindet oder nur das von der Natur erkennt, was mathematisch-physikalisch beschrieben werden kann (Niels Bohr), ob also die Quantenphysik eine Unschärfe der Natur oder nur eine Unklarheit unseres Denkens / Erkennens ist, scheint auf einmal eine recht alte Debatte wieder aufleben zu lassen. Es ist also doch längst nicht alles so klar und einfach, wie manche Szientisten es uns glauben machen wollen. Das möchte ich wörtlich verstehen: „glauben machen“, denn auch der Szientismus, speziell die Wirklichkeitsbehauptungen der Physikalisten, sind weder voraussetzungslos noch erschöpfend. Den absolut gesetzten Wirklichkeitsbegriff der Naturwissenschaften und einer sich an diesem „realistischen“ Begriff und Methodik orientierenden Philosophie darf man getrost infrage stellen.

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Was aber wäre heute von einer Philosophie des Geistes zu leisten, die ihrerseits vom „Rätsel des Bewusstseins“ (Bieri) weiß?

1. Die Projekte und Ergebnisse der aktuellen neurophysiologischen und kognitionswissenschaftlichen Forschung sind für jede PhdG essentiell. Zwar ist die physische Wirklichkeit nicht die einzige Wirklichkeit, aber physische Menschen existieren in einer physikalischen Raumzeit-Welt. Darum existiert auch der Geist, das Mentale, Intentionale, in der Welt physischer Realisierungen. Alles, was dazu bisher in der analytischen PhdG differenziert und begrifflich scharf bedacht und geprüft wurde, behält seinen Wert und zum Teil auch seine Gültigkeit. Denken ohne Gehirn ist ebenso wenig vorstellbar wie Sehen ohne Sinne. Die Notwendigkeit neurologisch-physiologischer Forschung für die PhdG anzuerkennen bedeutet zugleich, auch ihre theoretischen und methodischen Grenzen anzuerkennen (vgl. Martin Kurthen, Neurologe, 2010). Realismus kann gleichbedeutend sein mit Naturalismus, muss aber nicht gleichbedeutend sein mit Physikalismus.

2. Ein Dualismus innerhalb eines naturalistischen Ansatzes in einem cartesianischem Sinne ist weder nötig noch zweckdienlich. Aus naturalistischer Sicht ist das Bieri-Trilemma nur zu vermeiden durch einen methodischen Monismus, sprich Materialismus. Das Mentale erscheint dann in theoretischen (Hilfs-) Konstruktionen wie dem Epiphänomenalismus („lose Enden“, „nomological danglers“ → Feigl → Smart) bzw. Supervenienz (D. Davidson). Die „losen Enden“ beruhen letztlich auf einer Unvollständigkeit der materialistischen Theorie und könnten auf eine Anknüpfung auf einer anderen ontologischen (nicht nur epistemologischen) Ebene verweisen.

3. Mir leuchtet nach wie vor der Denkansatz von K. Poppers „Drei – Welten- Theorie“ ein. Sie wurde desavouiert durch die enge Verbindung mit der neurologischen Forschung von John Eccles – und stand und fiel mit der empirischen Unhaltbarkeit der Befunde und Postulate von Eccles. Man könnte die Welten-Theorie neu fassen und auch ihre Beschränkung auf die Zahl drei aufheben. Es gibt offenbar viele „Welten“ und viele verschiedene Wirklichkeiten, – so viele wie es unterschiedliche „Sinnfelder“ gibt, in denen sie erscheinen (Markus Gabriel). Einen interessanten Ansatz schlägt Franz Mechsner (2010) vor, wenn er drei evolutionär emergente Ontologien aufzeigt (material-physikalisch, teleofunktional-biologisch, personal-anthropologisch), die sich hinsichtlich ihrer Kategorien und Kausalitätsbegriffe und damit ihrer Einbettung in ein Selbst- und Weltmodell unterscheiden. Das klingt noch weitgehend spekulativ und bedarf genauerer Ausführung und Begründung insbesondere hinsichtlich der Interpretation empirischer Befunde. Aber die unterschiedlichen Ansätze, sei es über „Prozessontologien“, sei es über „Sinnfelder“ einem differenzierteren Weltverständnis und damit auch einer PhdG jenseits der Alternativen von Analytik und Hermneutik näher zu kommen, scheinen mir in die richtige Richtung zu gehen.

4. Können wir also sowohl materialistisch-deterministisch Wissenschaft betreiben, was die physikalische Welt angeht, als auch teleologisch-final und darüber hinaus personal, was die biologische und anthropologische Evolution angeht? Findet sich Bewusstsein, vor allem in der Form des reflexiven Selbst- und Fremdbewusstseins, in unterschiedlichen Wissenschaftsmethodiken wider? Müsste unsere Erkenntnistheorie also auch diese Differenzierung verschiedener „Welten“ bzw. Wirklichkeiten spiegeln und zu entsprechend differenzierter Rechenschaft über die Theoriebildung gelangen? Gegenüber dem zeitlichen Abschnitt der PhdG, der vor allem durch die Analytische Philosophie (Sprachphilosophie, Behaviourismus, physikalistischen Realismus) geprägt ist, würde es einen Wechsel des Paradigmas (Kuhn) bedeuten. Eine gewisse Erschöpfung analytischer ebenso wie hier nicht diskutierter konstruktivistischer Modelle des Mentalen oder des Bewusstseins könnte das andeuten. Es ist wieder „erlaubt“, von Metaphysik zu reden, sogar von einem „Leib-Seele-Problem“. Wer hätte das gedacht! Die Bewerkstelligung eines Paradigmenwechsel ist vielleicht das größte „Projekt“ einer künftigen PhdG.

Man höre den programmatischen Ruf von Paul Boghossian (2006 / 2013): „Keine Angst vor der Wahrheit“!