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Philosophie

Jenseits erstarrter Alternativen

Vieles in der heutigen philosophischen Debatte ist fest gefahren. Schon muss man fragen: Welche philosophische Debatte meinst du? Die analytische oder die eher (post-) metaphysische? Die strukturalistische, post- oder neostrukturalistische? Die systemtheoretische – und welche dort? Die diskursiv-öffentliche, modern-kritische, post-marxistische? Die mathematisch-logische? Und was ist das, was angelsächsische philosophy of mind als traditionell kontinentale Philosophie tituliert? Schon diese Aufsplitterung, die sich fast beliebig fortsetzen ließe, zeigt an, dass es derzeit gar kein philosophisches Hauptthema gibt, keine Mainstream-Diskussion, an der sich der Stand heutigen Philosophierens verdeutlichen ließe. Dafür gibt es zahlreiche Linien, die sich weniger als Schulen denn als Denkrichtungen „in Anlehnung an … / in Fortführung von…“ verstehen.

Größere Denktraditionen finden wir inzwischen bei den verschiedenen Spielarten des Strukturalismus und erst recht bei der Ausformung systemtheoretischer Komplexe. Und dann ist da an die Stelle einer Philosophie des Geistes die Analytische Philosophie getreten, die im Bereich von Erkenntnis- und Wissenstheorie eine umfassende theory of mind zu entwickeln sucht, im engen Schulterschluss mit den Neurowissenschaften und der empirischen Psychologie. Wie der Strukturalismus französisch geprägt ist, so ist die Analytische Philosophie angelsächsisch bestimmt. Im deutschsprachigen Raum ist am ehesten die Systemtheorie anzusiedeln. Dies schließt ein, dass in allen drei Feldern international und sprachübergreifend gearbeitet und diskutiert wird. Pluralität verschiedenster Denkmodelle ist vielleicht das einzige Kennzeichen einer ansonsten kaum vorhandenen Gemeinsamkeit philosophischer Diskussionen. Quer über die verschiedenen Denktraditionen hinweg versteht man sich auch begrifflich kaum noch, also gibt es auch keinen übergreifenden Diskurs. Die „Schulen“ bewegen sich recht fruchtlos in sich selber.

Ich würde mir einen philosophischen Neuansatz wünschen. Er müsste die erstarrten Alternativen Metaphysik – Geist – Natur – Struktur – System – Gesellschaft – Sprache – Existenz hinter sich lassen. Das Anliegen der mit diesen Begriffen bezeichneten Fragerichtungen sollte aufgenommen werden, denn schließlich gibt es offenkundig ein sachliches Recht, so differenziert und different wie bisher argumentiert zu haben. Dies wird aber kaum in einer bloßen Fortschreibung bekannter Themen und ihrer ‚irgendwie‘ gearteten Verbindung oder Kombination zu leisten sein. Dafür sind die traditionell modernen Ansätze zu gegensätzlich. Es müsste tatsächlich ein ganz neuer Ansatz her, ein neuer Ort, von dem aus, eine neue Perspektive, auf die hin, eine neue Basis, auf Grund derer eben noch einmal neu und anders angefangen, gedacht, gefragt, philosophiert wird. Ich wünschte mir einen neuen Entwurf, vielleicht auch einen neuen „großen Wurf“. Ob eine oder einer, der dies leisten könnte, schon geboren ist, weiß ich nicht.

In einem früheren Beitrag in diesem Blog versuchte ich, „zusammen zu denken, was beim metaphysischen Dualismus auseinander fällt und was beim physikalischen Monismus einseitig verkürzt, “reduziert” wird: die umfassend verstandene Natur (Physis) und den gestaltenden Geist“. Mir wird im Nachhinein bei dieser Formulierung etwas unbehaglich, denn sie bleibt doch offensichtlich den altbekannten Alternativen verhaftet. Es reicht nicht, nur etwas zusammen zu kleistern, ohne eine sachliche und begriffliche Klärung auf einer neuen Grundlage zu bieten. So richtig das Anliegen ist, so unbeholfen sind doch noch die Formulierungen.

Den interessantesten Neuansatz finde ich bei Markus Gabriel, Fachmann in Sachen Skeptizismus. Allerdings hat er bisher dazu nicht viel mehr als eine Skizze vorgelegt unter dem Titel: „Warum es die Welt nicht gibt.“:

Hier kommen wir zurück auf die Unterscheidung von Metaphysik, Konstruktivismus und Neuem Realismus. Die Metaphysiker behaupten, es gebe eine allumfassende Regel und die mutigeren unter ihnen behaupten auch, sie endlich gefunden zu haben. So folgt im Abendland schon seit beinahe dreitausend Jahren ein Weltformelfinder dem nächsten: von Thales von Milet bis hin zu Karl Marx oder Stephen Hawking. Der Konstruktivismus hingegen behauptet, dass wir die Regel nicht erkennen können. Dabei befänden wir
uns in Machtkämpfen oder kommunikativen Handlungen und versuchen in seinen Augen, uns darüber zu einigen, welche Illusion wir gerade gelten lassen wollen.

Der Neue Realismus versucht dagegen konsequent und ernsthaft die Frage zu beantworten, ob es eine solche Regel überhaupt geben könnte. Die Beantwortung dieser Frage ist dabei selbst nicht nur eine weitere Konstruktion. Stattdessen beansprucht sie … festzustellen, was der Fall ist. [S. 21]

Dieser „Neue Realismus“ kann auch als Überwindung des verfahrenen Naturalismus oder Physikalismus gelten, der seinerseits nur eine Spielart einer monistischen Ontologie darstellt. Eine solcher Neuansatz müsste über die fast schon apologetische Entgegensetzung von Geist und Gehirn hinaus führen, die eine Philosophie des Geistes nur als quasi-metaphysisches Substrat der Neurowissenschaft ansieht. Nur – eine Philosophie des Geistes zu behaupten im Gegensatz zu einer physikalistischen Philosophie treibt den Teufel mit Beelzebul aus. Darum: Neuansatz jenseits der erstarrten Alternativen. Was Gabriel konkret zu bieten hat, wäre dann noch eigens zu diskutieren. Vielleicht reicht seine Vielweltentheorie der Sinnfelder noch nicht aus. Aber es ist schon mal ein neuer Anfang. Und genau den fordert ja auch er – philosophisch im besten Sinne.

Schaun wir mal, was daraus wird. Bis ein neuer konsistenter Entwurf vorliegt, müssen wir halt suchen und fragen und begrifflich etwas stottern, wenn uns die überkommenen Systeme, Ideologien und Denkmodelle nicht mehr genügen. Und sie genügen nicht. Das zeigt sich schon daran, dass die vielen philosophischen Diskussionen im Einzelnen so steril und fruchtlos wirken. Ich warte jedenfalls auf etwas Neues, auf nicht mehr und nicht weniger als eine Neue Philosophie.