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Metaphysik Philosophie

Ideologie der Singularität

[Metaphysik]

Netz-Enthusiasten feiern die Fortschritte und die Zukunftsaussichten der Digitalisierung und Vernetzung. Technik-Optimismus könnte ein Thema philosophischer Ethik sein, es wäre zumal kein sehr neues – siehe Descartes‘ theoretische Unterscheidung von Mensch und Automat / Maschine („seelenlos“) und die berühmte „mechanische Ente“ des Jacques de Vaucanson. Alan Turing ist der moderne Urvater der Idee von selbstlernenden Maschinen, bei ihm zunächst als mathematisches Kalkül („Turing-Maschine“), aber auch durch den maschinellen Intelligenztest, den „Turing-Test„. Der Test als Mittel des Nachweises einer intelligenten Maschine ist ebenso oft zitiert wie kritisiert worden. Dennoch führt diese Debatte zu einem Thema, das in der Zukunftsforschung und KI-Forschung aktuell ist und durchaus als philosophisches Thema identifiziert werden könnte. Die zugespitzte Form dieser Debatte findet sich in der Diskussion über „Singularität„. Kritische Netzwissenschaftler halten sie zwar mit guten Gründen für einen Mythos (z.B. Jaron Lanier, The Myth of AI, 2011), dennoch halte ich diese Diskussion für relevant, weil sie als eine technizistische Form der Metaphysik auftritt. Sie kann sich dabei auf den „starken Realismus“ bzw. Naturalismus berufen, wie er in Teilen der Analytischen Philosophie vertreten wird, so zuerst von John Smart: Mentale Prozesse sind identisch mit physikalischen Prozessen. Zusammen mit dem Computationalismus bzw. Konnektionismus innerhalb der Stilrichtungen der Analytischen Philosophie (→ Fodor; → Dretske) ergeben sich theoretische Perspektiven, die wiederum von Informatikern und KI / AI – Forschern aufgegriffen werden. Am bekanntesten sind darunter Ray Kurzweil und Vernor Vinge (Einstieg über Wikipedia, dort weiterführende Literatur).

Das aktuell virulente Interesse an „technologischer Singularität“ ist bemerkenswert. Gemeint ist hier mit „Singularität“ der Punkt, ab dem technische Intelligenz sich selbständig konstruiert, perfektioniert, sich ihrer selbst bewusst wird und daraufhin der biologisch – humanen Intelligenz generell überlegen ist. Es geht tatsächlich um den Bereich jenseits der gegebenen Physik, im Wortsinn um Meta-Physik. Sie ist sowohl abstrakt mathematisch – algorithmisch gefasst als auch praktisch – spekulativ, sofern damit transhumane technische Existenzformen beschrieben werden, die dem Menschen und seiner Intelligenz schlagartig überlegen sein würden, so die Voraussage (vgl. Thomas Wagner, Der Vormarsch der Robokraten, 2015). „Letztlich geht es um die Gottwerdung des Menschen mittels Technologie.“ (ebd.) Noch mehr als um Metaphysik geht es wahrscheinlich sogar um Macht und um Religion, genauer um eine milleniäre Eschatologie, das heißt um eine kapitalistisch-technologische Endzeithoffnung. Genau als solche identifiziert Wagner die Theorie der technologischen Singularität: Es ist „die Leitidee einer neuartigen religiösen Bewegung“. Über die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Implikationen dieser aggressiven Ideenwelt („disruption“) sowie über ihre wirtschaftlich – finanzielle Verzahnung mit dem Silicon Valley und die daraus resultierenden Gefahren eines antidemokratischen Größenwahns schreibt Wagner sehr Bedenkenswertes. Jaron Lanier *) positioniert sich mit dem Konzept einer „humanistischen Internet-Ökonomie“ strikt gegen die transhumanen „ultraintelligent“ Visionen derer vom Silicon Valley („seed-ai“; „strong artificial intelligence“). Insbesondere die Nähe vieler Netzaktivisten zu diesen technizistischen Ideen hierzulande wären noch eigens zu beleuchten. Hier soll es aber „nur“ um den philosophischen Aspekt gehen.

Moore's Law - Wikimedia
Moore’s Law – Wikimedia

Es ist doch schon erstaunlich, wie eine erklärtermaßen antimetaphysische Philosophie wie die Analytische Philosophie, die auf der Grundlage eines Naturalismus oder eines physikalischen Materialismus aufbaut, auf einmal technizistisch ins Gegenteil umschlägt und eine technologische Metaphysik im Gewande einer transhumanen Artificial Intelligence hervor bringt. Um Metaphysik (teleologisch) oder sogar um eine religiöse Reminiszenz (eschatologisch) handelt es sich zweifelsohne. Die „Singularität“, also der Umschlagspunkt in einen neuen, unvorhersehbaren Zustand der intelligenten Welt wird als zwangsläufig gedacht, der aus der exponentiellen Entwicklungskurve der Computertechniken und Algorithmen entsprechend zu „Moore’s Law“ folgt. Die einen sehen den Zeitpunkt in naher (Kurzweil), die anderen in noch etwas fernerer (Bostrom) Zukunft, die einen  sehnen sich den Zeitpunkt herbei wie das Paradies (Dyson), die anderen fürchten den Umschlag in die Herrschaft der Maschinen wie die Hölle. Gemeinsam ist die Unausweichlichkeit, mit der technische Intelligenz in eine techno-metaphysische und posthumane neue Welt übertritt. Die teleologische Komponente dieser Ideen wird darin sichtbar, dass die technologische Singularität nur eine neue Stufe der Evolution jenseits der biologischen Evolution darstellt, die damit überwunden wird und an ihr Ende kommt. Kurzweil spricht von der Gottähnlichkeit der allumfassenden Maschinenintelligenz, welche die Grenzen der Biologie überwindet. Zugleich wird von den Vertretern des Posthumanismus die „Erlösung vom Bösen“ erwartet, denn eine umfassende Intelligenz könne nur das Gute wollen.

Wenn wir diese Ideen oder technizistischen Hoffnungen als Metaphysik bezeichnen wollen (und nicht als quasi-religiöse Visionen), dann ist es schlechte Metaphysik. Schlechte Metaphysik ist es, wenn grundlegende Fragen des Geistes, der Erkenntnis, des Bewusstseins, der Ethik – also alles dessen, was menschliches Dasein und philosophisches Nachdenken darüber ausmacht, ausgeblendet und in einer unglaublichen Vereinfachung auf technologische Allmachtsphantasien reduziert wird. Allmachtsphantasien können zeitweise Wirklichkeit werden, wie die Herrschaften der verschiedenen Dikatatoren dieser Welt gezeigt haben. Menschliche Fragen und Probleme gelöst wurden dadurch noch niemals, im Gegenteil. Es ist schlechte Metaphysik, einen algorithmischen Reduktionismus an die Stelle der Kreativität des menschlichen Geistes zu setzen, von dem immerhin die größten Firmen des Silicon Valley profitieren und – schwärmen (Steve Jobs). Es sollte einen befremden, wenn totalitäre Phantasien mit religiösen Vorstellungen verknüpft werden (ein altbewährtes Konzept) und daraus etwas hochtrabend, vielleicht sogar hochstaplerisch eine evolutionäre „Singularität“ konstruiert wird, die weder wissenschaftlich belegbar ist, noch philosophisch ernstzunehmenden Gehalt hat noch auch nur allgemein menschlich „vernünftig“ ist: Sie will ja gerade jeder „bloß“ humanen Vernunft widersprechen. Nicht einmal der Anspruch, hier handele es sich um etwas Denk-Würdiges, kann eingelöst werden. Die Anleihen bei der Analytischen Philosophie des Geistes sind doch allzu dürftig und oberflächlich. Die „Technologische Singularität“ ist gerade kein philosophisches Thema.

Vielmehr geht es dabei um das alte Lied der Macht. „Silicon Valley“ mit diversen Institutionen und ungeheurem Kapital hat sich hier eine selbstrechtfertigende Ideologie geschaffen, die zu nicht weniger dient als zur totalen Kontrolle von Mensch und Welt. Als „Wille zut Macht“ (Nietzsche) wäre diese Ideologie am ehesten zu fassen. Sie stellt den Legitimationsrahmen bereit, die Macht der Monopole in der digitalen Welt grenzenlos auszuweiten und zu stabilisieren. Gegen diese totalitären Ideologien, gegen den techno-eschatologischen Traum von der „Singularität“ ist weniger philosophisch als politisch zu streiten, und das mit Entschiedenheit. Das kann dann auch manche bei Netzaktivisten beliebte Ideen betreffen. Sie wissen schon genau, was sie tun. Philosophie aber bleibt bei ihrem ureigenen Thema, wenn sie gegen ideologische Inanspruchnahmen und Machtkalküle protestiert im Namen und kraft der Vernunft des Menschen. Es geht um die Humanisierung der digitalen Welt und um die Entideologisierung des Digitalen – um die unausrottbare Bedeutung des nicht reduzierbaren Humanum.

Anmerkung

*) Jaron Lanier, Wem gehört die Zukunft?, 2014; en 2013; ders., Für einen neuen Humanismus. Wie wir der digitalen Entrechtung entkommen, 2014