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Philosophie

Innen und Außen

[Anthropologie, Erkenntnistheorie]

Wenn wir über die ‚Welt da draußen‘ reden, haben wir die Grenze bereits markiert. Die Welt draußen ist das eine, – ich, der ich über die Welt reden will, das andere. Die Metapher von der ‚Welt da draußen‘, von der ich mich hier drinnen unterscheide, assoziiert den Erkenntnisvorgang mit einer ganz anderen, in gewisser Weise extremen Situation wie der eines einsamen Schiffes auf dem weiten Ozean oder eines Raumschiffes im Weltall. Sie formuliert aber einfach nur die unmittelbare Wahrnehmung meiner selbst im Unterschied zur Wahrnehmung von allem anderen, was nicht Ich ist. Ich kann in mich hinein horchen, mich meiner Gefühle, Gestimmtheit und Gedanken, meines Körpers vergewissern und bleibe doch solange drinnen bei mir, solange ich meinen Gefühlen nicht Aus-druck verleihe, mich nicht sprachlich aus-drücke oder meinen Willen nicht aus-agiere, mich also nicht äußere. Wenn ich mich äußere, bedeutet es das Heraustreten aus dem Innen des Selbst in die Welt draußen.

So oder ähnlich könnte man ganz vorläufig und allgemein das beschreiben, was im unmittelbaren Bewusstsein als Unterschied zwischen mir selbst und allem anderem, was nicht Ich bin, gegeben ist. Dieser Unterschied zwischen dem Bewusstsein meiner selbst und dem Bewusstsein alles anderen scheint fundamental zu sein. Ich bin hier bei mir, und alles andere ist die Welt um mich herum. Das Bild noch schärfer zugespitzt: Ich bin in mir drin wie in einem Gehäuse, in dem ich mich verschließen kann, und draußen ist die Welt, auf die ich reagieren und in der ich agieren kann. Diese Unterscheidung, diese Grenzziehung, konstituiert die eigene Person. Das Recht auf Unantastbarkeit der Person bedeutet ja gerade, dass niemand und nichts das Recht hat, die Grenze meines Selbst zu überschreiten und in mich einzudringen, mich zu zwingen, meine Gefühle und Gedanken bloß zu legen, mich ‚auszuziehen‘ oder mich körperlich zu verletzen. Die Grenze zwischen Drinnen und Draußen konstituiert mich als selbständige Person und schützt mich vor den Zugriffen oder Übergriffen anderer.

Diese im praktischen Alltag so wichtige Grenze und im alltäglichen Bewusstsein anscheinend ebenso selbstverständliche Unterscheidung ist aber in doppelter Hinsicht problematisch: erkenntnistheoretisch und biologisch. Ein dritter Aspekt der Problematisierung betrifft das Soziale; er hängt aber mit den ersten beiden Aspekten zusammen bzw. von ihnen ab.

a) Erkenntnistheoretische Problematisierung

Es ist eine uralte philosophische Frage, wie die Wahrnehmung meiner selbst und der Welt außer mir vonstatten geht. Die realistische Position blickt quasi aus der Beobachterperspektive auf den Menschen (der auch ich selber sein kann) inmitten all der anderen Dinge in der Welt um ihn herum. Die Dinge der Welt sind ebenso als Tatsachen gegeben wie ein x-beliebiger Mensch, der sie wahrnimmt. Der wahrnehmende Mensch hat noch zusätzlich eine subjektive Perspektive auf die Wirklichkeit außer ihm. Die ändert aber nicht die objektive Tatsächlichkeit der gesamten vorfindlichen Wirklichkeit. Der Realismus ist die Arbeitshypothese aller Naturwissenschaften. Die wirkliche Welt kommt in dem Maße zum Vorschein, wie subjektive Faktoren ausgeschaltet werden. Objektivität und zeit- und ortsunabhängige Wiederholbarkeit sind die Bedingung für gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnis. Der Realismus hat den großen Vorteil, mit der Alltagserfahrung und dem Alltagsbewusstsein übereinzustimmen. Der Realismus im Alltag wird gelegentlich als naiver Realismus bezeichnet. Das möchte darauf abheben, dass auch den Wissenschaftler subjektive Faktoren wie die jeweilige Fragestellung oder die Versuchsanordnung eines Experiments beeinflussen, ganz zu schweigen von den theoretischen Voraussetzungen, die den Erkenntnisprozess leiten. Objektivität muss also immer wieder neu und bisweilen sehr aufwändig (CERN!) gesichert werden. Selbst das, was dann als Naturgesetz heraus kommt, beruht auf theoretischen Grundannahmen, die meist in einem mathematischen Modell formuliert sind. Eine wesentliche Bewährung solcher Modelle besteht darin, Naturerscheinungen und Funktionsweisen kausal zu begründen und präzise vorher sagen zu können. Der erkenntnistheoretische Realismus ist ungemein produktiv und effektiv. Unsere gesamte wissenschaftlich-technische Welt beruht darauf.

Näheres Nachfragen nach den theoretischen Voraussetzungen und den subjektiven Bedingungen lässt den Realismus aber keineswegs als selbstverständlich erscheinen. Es stellt sich nämlich die Frage, wie genau denn die Wirklichkeit zum wahrnehmenden Menschen gelangt. Wie kommt es, dass man nicht nur irgendetwas Undefinierbares, sondern konkrete einzelne Dinge erkennen und benennen und sich darüber verständigen kann? Der Idealismus, klassisch entwickelt von Platon, geht darum von Ideen als einer Art Idealvorstellungen aus, die hinter der Wirklichkeit liegen und das konkrete Einzelne als Fall eines Allgemeinen, das vor einem stehende Tier zum Beispiel als ein (bestimmtes) Pferd erkennen lässt. Die idealistische Erkenntnis der Wirklichkeit vollzieht sich in einem Abgleichen der konkreten Einzeldinge, Einzelwesen und Einzelvorstellungen mit den allgemeinen Begriffen, Ideen und Idealen (z.B. des Guten, Wahren, Schönen). Nur wenn ich die Idee eines Baumes oder die Idee der Gerechtigkeit in mir trage, kann ich Einzelnes als diskreten Baum oder als gerecht (wieder- ) erkennen. Die Frage ist dann nur, wie man zu solchen Ideen kommt bzw. wie diese in das menschliche Bewusstsein kommen. Die andere Frage ist die, ob der Vollzug der Identifizierung überhaupt korrekt verläuft, oder ob es eben auch trügerische Ideen gibt, die zu trügerischer Wahrnehmung der Wirklichkeit führen. So kann  der erkenntnishteoretische Idealismus einerseits zum Skeptizismus führen, andererseits, modern gesprochen, zum Konstruktivismus. Letztlich kann ich nur dasjenige als Welt erfassen und als Wirklichkeit erkennen, was der eigene Geist anhand von Vorstellungen und Begriffen konstruiert. Die heutigen Neurowissenschaften würden das sogar noch auf das Gehirn zuspitzen als dasjenige Organ im Menschen, das diese synthetische Leistung in Form von Repräsentationen und Metarepräsentationen vollbringt. Was bleibt da noch von der objektiven Welt abgesehen von diesen mentalen oder neuralen Konstruktionen übrig?

Eine mittlere Position zwischen Realismus und Idealismus nimmt gewissermaßen der kritische Rationalismus ein (Kant). Erkenntnis geschieht im Zusammenspiel von Sinneswahrnehmung und begrifflichen Vorstellungen. „Gedanken ohne Inhalt sind leer. Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Sinnlichkeit und Verstand zusammen garantieren unter den Bedingungen von Raum und Zeit (die „reinen Formen der Anschauung“) wahre Erkenntnis. Letztlich ist es aber auch hier die Vernunft, welche die Kategorien bestimmt, nach denen überhaupt etwas erkannt werden kann. Wenn man so will konstruiert sich somit die Vernunft (‚ideal‘, transzendental) des Menschen die eigene Wirklichkeit, die überhaupt als Erkenntnisgegenstand zur Verfügung steht. Damit steht man zugleich wieder ganz nahe bei der realistischen naturwissenschaftlichen Position, die Erkenntnis der Wirklichkeit aus mathematischen Modellen und Kalkülen ableitet und kausal verknüpft. Liegen die Naturgesetze tatsächlich in den natürlichen Dingen selber oder legt mein Verstand sie in die Dinge hinein, um eine Ordnung zu schaffen und Strukturen zu entdecken? Findet oder erfindet der Mensch die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Wirklichkeit? Nicht erst für die klassische skeptische Position ist die Wahrheit und Objektivität der Welt außerhalb meiner selbst durchaus zwiespältig, zweifelhaft. Was ist überhaupt hier Wahrheit? Die Übereinstimmung von meiner subjektiven Erkenntnis mit der objektiven Tatsächlichkeit (Korrespondenz)? Oder die Übereinstimmung meiner Begriffe und Vorstellungen mit dem, was ich als Welt außer mir zu konstruieren vermag (Konsistenz)? Beide Fragesätze könnten die zwei Seiten ein und derselben Problematik sein. Wie verhält sich genau das Drinnen und Draußen, das erkennende Subjekt und die erkannte Welt der Dinge und Tatsachen zueinander? Eine eindeutige und in jeder Hinsicht zufrieden stellende Antwort ist bisher nicht gefunden.

„Colpoda inflata“ von Dr. Eugen Lehle - Eigenes Werk (own work) - Wkimedia
„Colpoda inflata“ von Dr. Eugen Lehle – Eigenes Werk (own work) – Wkimedia

b) Biologische Problematisierung

Die Frage von Innen und Außen hat einen weiteren recht interessanten biologischen Aspekt. Bislang schien es ziemlich klar zu sein, was ein Lebewesen ausmacht, wie es als solches im Unterschied zu Nicht-Lebendigem zu bestimmen ist. Individuation, Metabolismus und Selbstreproduktion sind dafür wesentliche Bedingungen. Was die Abgegrenztheit zu anderem Lebendigen und Nichtlebendigen betrifft, so scheint die Sache auf der Ebene der Zelle klar zu sein: Die Membrane ist die Grenze zwischen Innen und Außen. Zugleich ist die Zellmembrane die Austauschzone für den Stoffwechsel der Zelle. Die Membrane ist eine durchlässige Grenze zum Zwecke der Lebenserhaltung. Was schon für die einzelne lebende Zelle gilt, trifft in weit größerem Maße für komplexere Lebensformen zu. Bei fast allen Eukaryoten (Lebewesen, deren Zellen einen Kern enthalten) finden sich innerhalb der Zellen Mitochondrien als Organellen, die für die Zufuhr der Energie sorgen („Kraftwerke“). Mitochondrien sind von den Zellen selbst insofern deutlich unterschieden, als sie eine eigene Erbsubstanz besitzen. Man geht heute allgemein davon aus, dass sich die Vorläufer der Eukaryoten mit Bakterien verbunden haben, aus deren Kombination dann die eukaryotischen Zellen als Basis alles höher entwickelten Lebens hervor gegangen sind. Dies scheint ein sehr weit reichendes und erfolgreiches Modell des Lebens zu sein: Lebewesen verbinden sich mit anderen Lebewesen zu einer komplexeren Lebensform, die wiederum eigenständig leben kann. Dies Modell reicht vielleicht noch weiter als bisher gedacht.

Die Vorstellung, das Leben auf der Erde bestehe aus einer Ansammlung wohldefinierter und abgegrenzter Individuen – die allerdings höchst komplex vernetzt interagieren –, ist ein grundlegendes Konzept der Biologie. [Bernhard] Kegels zeigt nun, gestützt auf neueste Erkenntnisse im Schnittbereich von Ökologie, Medizin, Mikrobiologie und Molekularbiologie, dass die geläufigen Vorstellungen von organismischer Individualität überprüft werden müssen. … Was also üblicherweise als Individuum bezeichnet wird, ist eigentlich eine ineinander verschachtelte Struktur verschiedener Lebewesen: Menschen beherbergen zahllose Mikroben im Darm, in der Mundhöhle oder auf der Haut, und diese Mikroben sind wiederum Wirte für Unmengen von Viren, die im Genom von Mikroben und Mensch deutliche Spuren hinterlassen. Wo setzt Evolution nun an? Sind etwa Holobionten, und nicht Gene, Einheiten der Evolution? Solche Fragen werden noch heftig erörtert, und ein Konsens scheint noch in weiter Ferne.“ (Thomas Weber in einer Rezension von Bernhard Kegel, Die Herrscher der Welt: Wie Mikroben unser Leben bestimmen, FAZ 20. Mai 2015)

Auch weniger dramatisch formuliert weist der neue Begriff der „Holobionten“ (Lynn Margulies) darauf hin, dass Lebensformen und Lebewesen in noch ganz anderer Weise für einander durchlässig und konstitutiv sind, als bisher gedacht und wie es durch ‚Netzwerke‘ oder ‚Biotope‘ gekennzeichnet wird. Hier scheint sehr viel mehr Zusammenhang, Interaktion und Durchlässigkeit vorzuliegen. Diese Entdeckungen und Beschreibungen machen die Grenzziehung zwischen lebendigen Individuen zum einen, aber auch zwischen Innen und Außen zum anderen flüssiger. Schon der Stoffwechsel (Metabolismus), der sowohl auf organische als auch auf nichtorganische, mineralische Stoffe angewiesen ist, zeigt die lebensnotwendige Verbindung, sogar Verschränkung (siehe z.B. die Mitochondrien; ganz anders und besonders auch die Korallen) von Lebensformen und Lebewesen miteinander. Im Prozess der Photosynthese werden energiearme anorganische Stoffe zu energiereichen organischen Verbindungen angereichert und zu Bestandteilen des Lebewesens (Assimilation). Nirgendwo sonst im Bereich des Lebendigen wird der Zusammenhang zwischen Lebendigem und Nichtlebendigem so unmittelbar sichtbar. Beide Prozesse zusammen genommen (Fremdstoffwechsel; Assimilation) lassen Lebewesen als holobiontische Systeme entstehen, die sich im engsten Austausch miteinander und mit ihrer Umgebung befinden. Wo ist da drinnen, wo draußen? Im großen menschlichen Organismus ist die Haut die körperliche Schnittstelle zur Außenwelt. Die Haut erfüllt ihre Funktion aber nur, indem sie Kontakt und Austausch mit dem Bereich außerhalb ermöglicht. Auch hier ist das Drinnen und das Draußen keineswegs so klar geschieden, wie es beim ersten Blick den Anschein hat. Vielmehr geht es um einen geregelten ‚atmenden‘ Austausch, um eine bestimmte Wechselfunktion, damit Leben sich vollziehen kann, gerade auch als individuiertes, beim Menschen dann individualisiertes Leben.

c) Die Vermutung dynamischer Komplexität

Die biologische Wirklichkeit scheint von der erkenntnistheoretischen Problemstellung gar nicht weit entfernt zu sein. Das Innen und Außen ist nur auf den ersten Blick eine klare Trennlinie. Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und eine Vermutung formulieren, wie der Zusammenhang zwischen beiden Problematisierungen, der erkenntnistheoretischen und der biologischen, aussehen könnte.

Erkenntnis als ein Prozess, Zusammenhänge zu finden, Verbindungen und Unterscheidungen zu markieren und in solch ‚kritischer‘ (lat. discernere = unterscheiden) Weise Wahrnehmung und Bewusstsein zu konstituieren, ist immer zugleich Entdeckung und Stiftung. Im Vollzug der Wahrnehmung und bewussten Verarbeitung von Welt ist das seiner selbst bewusste, körperlich denkende Ich elementar bei sich selber: „Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte.“ (I. Kant, Kritik der reinen Vernunft). Schon die Unterscheidung von ‚Ich‘ und ‚Welt‘, von Bewusstsein meiner selbst und Bewusstsein alles anderen ist eine recht theoretische, abstrakte. Sie sieht davon ab, dass Erkenntnis ein einheitlicher, vereinheitlichender und verbindender Prozess des Bewusstseins ist, in welchem ein Einzelnes sich auf die Welt = das um, mit und in ihm Existierende bezieht und zugleich durch diese Beziehungnahme selber allererst als individuelle Einheit konstituiert wird. Kant nennt es die „transzendentale Einheit der Apperzeption“, aber abgesehen von diesem Ungetüm an Begriffen ist der Sinn dieser Aussage nicht nur auf die Logik des Denkens und Erkennens zu beziehen, sondern auf die tatsächliche körperlich gegebene und (zum Teil) bewusste Einheit der Existenz des konkreten Lebewesens Mensch. Der Mensch lebt in der Welt und erkennt sich darin als ein Lebewesen, dessen innere Strukturen und Prozesse körperlicher und organischer Art zugleich die basale  Existenzform seiner ‚geistigen‘ Fähigkeiten sind – als Bedingung und Grundlage, eben auf seine Art wahrzunehmen, zu fühlen, zu denken, zu erkennen, sich zu äußern, zu leben. Dies ist eher eine integrale Verschränkung, eine verflüssigte dynamische Durchdringung in einer komplex strukturierten Welt-Ich-Existenzform als bloß eine lose Wechselwirkung (Supervenienz) zweier an sich getrennter Gegebenheiten. Hier sind der erkenntnistheoretische und der biologische Aspekt zwei integral differenzierte Seiten eines komplementären Zusammenhangs. Versteht man unter wissenschaftlicher Erkenntnis die Fähigkeit, Formen und Muster zu entdecken, Regularitäten aufzufinden, Kontinuitäten und Diskontinuitäten festzustellen und allgemeine Gesetze mathematisch zu formulieren (vgl. früheren Blogbeitrag), so ist die menschliche Vernunft gerade deswegen dazu fähig und in der Lage, weil sie sich selber in bestimmten Formen und Mustern, Vorstellungen und Empfindungen, Kategorien, Sätzen und Begriffen konstituiert. Dies alles geschieht auf der Basis der Funktionsweise der eigenen Körperlichkeit, insbesondere des Gehirns, das sich seinerseits in dynamischen Mustern und Prozessen organisiert und fortwährend aktualisiert und immer komplexer weiter entwickelt, auch wenn darüber längst noch nicht alles bekannt und verstanden ist. Innen und Außen sind so gesehen tatsächlich ein verschränkter, abgegrenzt-durchlässiger Komplex einer differenzierten Einheit unterschiedlicher Aspekte, sowohl erkenntnistheoretischer als auch biologischer.

Meine Vermutung tut sich sprachlich schwer, weil in jedem Falle ein Gleichgewicht („Fließgleichgewicht“) beider Bezugspunkte von Innenaspekt und Außenaspekt, von Innenwelt und Außenwelt, von Individualität und Sozialität gewahrt sein soll. Wie bereits angedeutet, findet in einer solchen Beschreibung auch der Zusammenhang des Einzelnen in seinem sozialen Umfeld und in den personalen Bezügen eine sinnvolle Erklärung. Ich verweise dabei auf die exzellente Ausarbeitung der sozialen Grundierung des individuellen Bewusstseins in der kommunikativen „Öffentlichkeit“, wie es Volker Gerhardt in angemessener Ausführlichkeit dargestellt hat. Ihm kommt es dabei insbesondere auf die enge wechselseitige Verflechtung des Individuums innerhalb seiner Gesellschaft an im Prozess des Konstituierung von Bewusstsein überhaupt (siehe in seinem Buch „Öffentlichkeit. Die politische Form des Bewusstseins“ Kap. 5: Bewusstsein als soziales Organ). Das trifft sich mit meiner Intention, Innen- und Außenaspekt eines personalen, bewussten Lebewesens, wie es der Mensch ist, als komplementäre Seiten einer komplex-dynamischen Gesamtstruktur von ‚Welt und Bewusstsein‘ zu beschreiben. Meine Vermutung führt diesen Gedanken weiter hin auf eine strukturelle Gleichartigkeit der Beziehungen von Innenwelt und Außenwelt bei einem holobiontischen Lebewesen, wie es der Mensch ist. Bewusstsein und Erkenntnis strukturieren sich womöglich in derselben Weise, wie auch die biologischen Systeme und Prozesse hoch entwickelter Lebewesen Komplementaritäten und Fließgleichgewichte (→ Thermodynamik) erfordern. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die Muster gleichen sich.

Jedenfalls dürfte immer klarer werden, dass erkenntnistheoretische Einseitigkeiten und Verabsolutierungen (Idealismus – Realismus – Strukturalismus usw.) ebenso wenig weiter führen wie eine dualistisch-antithetische Behauptung eines Gegensatzes von Natur und Geist. Vielleicht bietet dafür die Herangehensweise über das Verhältnis von Innen und Außen, wie hier versucht, eine bessere Denkmöglichkeit.

3 Antworten auf „Innen und Außen“

Habe erst jetzt Ihren Blog zu „Innen und Außen“ gelesen und neben Vertrautem Neues hierzu entdecken können. Vielleicht interessiert Sie ja meine Arbeit zu diesem Thema, genauer: ein Buch, das ich im letzten Herbst veröffentlicht habe und das sich komplett dieser Fragestellung widmet: http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3632-1/philosophie-der-lebensfuehrung?c=770

Wenn Sie schreiben, dass Sie nicht schon die passende Begrifflichkeit gefunden hätten, um die Innen/Außen-Problematik annäherungsweise zu erfassen, so frage ich mich das natürlich auch. Vielleicht gibt es ja von dorther die Möglichkeit eines Austauschs. Würde mich freuen.

Danke für Ihre Anmerkungen! Dem Lesehinweis will ich gerne einmal nachgehen. Vieleicht ergibt sich dann ein erneuter Kontakt.

+Stefan „‫زردشت‬‎“ Plank 02.06.2015

+Reinhart Gruhn Ich finde vor allem Ihre Gedanken zur biologischen Differenz zwischen Innen und Außen einen interessanten Ansatzpunkt. Bereits auf mikrobiologischer Ebene gibt es die Kompartimentbildung, die Abgrenzung mittels Membranen und somit den Unterschied zwischen einem Innen und einem Außen. Doch ich würde mich, unter Berücksichtigung von Innen und Außen, nicht nur auf Lebewesen beschränken. Tatsächlich würde ich dieses Grundprinzip der Polaritäten, der Innen-Außen-Dychotomie auch bei anorganischen Systemen sehen. (so wie mir scheint auch +Christof Zimmermann ) Somit würde auch ich nicht zwischen Lebewesen und Nicht-Lebewesen unterscheiden, vorallem im Bezug zu einem Innen und einem Außen.

Allgemeiner formuliert, würde ich daher auf den Begriff der Strukturbildung, der Morphogenese zurückgreifen, die eben gerade verantwortlich für eine Kompartimentbildung ist. Da strukturbildende Momente (Elementarteilchen, Atomstrukturen, Kristallgitter …, trivialer Weise alle organischen Strukturen) nur mittels Energieaufnahme, mittels endozytischer, metabolischer Kompensation, der Entropie und der damit unweigerlich verbundenden Zerfallstendenz der Struktur/des Systems, bestehen können. (Clausius‘ 2. Hauptsatz der Thermodynamik)
Diese Energieaufnahme, als metabolische „Einverleibung“ in die Struktur ist eine Aktivität, die entgegen der entropischen Strukturparalyse wirkt. Das System, die Struktur kann somit in einem Zustand der Homöostase innerhalb eines „Attraktors“ bestehen.

Doch der eigentliche Grundzustand der dem Endzustand entspricht, ist wenn man so will, ein Equilibrium. Diese „Zustandsformen“ benötigen keine Energie, da durch die Abwesenheit der Struktur kein energetisches Gradiationsgefälle vorliegt. Das Gradiationsgefälle würde durch Passivität/Osmose/Diffusion zu einem indifferenten „Rauschen“ (man denke an das kosmische Hintergrundrauschen …) in einen Gleichgewichtszustand überführt, das häufig als chaotisch wahrgenommen wird. Nach Shannons Informationstheorie beinhaltet ein derartiges System einen unendlichen bzw. gar keinen Informationsgehalt. Erst durch eine gewisse Strukturbildung ist erst Information vorhanden. (…)

1. Herrscht also im subatomaren, mikrobiologisch, chemischen Sinne immer die Dychotomie zwischen Außen und Innen, die sich auf „komplexere“ , makroskopischen Ebenen weiterspinnen lässt (im Sinne von Supervenienz/Emergenz)?

2) Wie verhält es sich mit der Unschärferelation (Heisenberg), die entgegen der klassischen Physik von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, gewissermaßen von Attraktoren/Strukturen, anstelle von diskreten Ort- bzw. Strukturbestimmungen spricht?

3) Das Prinzip von Innen und Außen lässt uns offensichtlich vermuten, dass wir in einer diskreten/binären Welt leben, ist das tatsächlich so?

4) Doch ist jede Strukturbildung dirskret und binär, oder nicht vielmehr eine graduelle Grenzziehung zwischen Innen und Außen, also ein übergehendes Kontinuum?

Anm.: Interessant zu dieser Innen/Außen Thematik ist auch Peter #Sloterdijks 3-teilige Sphärologie. (Zumindest einige Gedanken).

+Reinhart Gruhn 10:13

Schöne Denkanstöße +Stefan Plank ! – Ich habe bewusst vermieden, von Dichotomie oder Polaritäten zu sprechen. Das was ich Innen-. und Außenaspekt genannt habe, ist ja gerade nicht durch eine klare Grenze getrennt (zweigeteilt), sondern meint eher einen flüssigen Prozess komplementärer Strukturen. Ich habe noch nicht die passende Begrifflichkeit gefunden, dies angemessen zu beschreiben.

Polaritäten finden sich in der Tat in der anorganischen Natur vielfach, jedenfalls erscheint es oft so. Ihren Ausführungen über die Morphogenese stimme ich zu, ebenso teile ich den Hinweis auf den 2. Hauptsatz der Thermodynamik (der philosophisch enorm viel austrägt und viel zu wenig beachtet wird). Auch Gleichgewichtszustand, Equilibrium etc. – alles ok. Fraglich ist, ob das in diesem Zusammenhang so zutrifft und weiter hilft.

Es geht ja um die dynamische Beziehung von komplementären Bereichen („Sphären“?!) bzw. Aspekten. Dort finden sich weniger energieneutrale -Null-Info-Zustände, als Fließgleichgewichte. Ich habe diesen Ausdruck bei Josef Reichholf gefunden, der ihn vom österreichischen Biophysiker Ludwig von Bertalanffy (1953) übernimmt. Fließgleichgewichte sind dynamisch und brauchen zur Aufrechterhaltung die Zufuhr von Energie. Beispiel: Strudel im Wasser (Schwerkraft). Biologische Systeme können durch Regelung der Energiezufuht den Level ihres Fließgleichgewichts beeinflussen. Im Sinne von Ilya Progogine („dissipative Systeme“) leisten sich biologische Systeme auf diese Weise einen Entropieaufschub, der sie gerade von einem statischen Gleichgewicht (null-Info, null Energie = Tod) fernhält. (sehr informativ dazu Reichholfs Bändchen „Stabile Ungleichgewichte“, Edition Suhrkamp 2008).

In dieser Richtung versuche ich den Innen- und Außenaspekt als dynamisch-komplementäre Bereiche zu denken. Zu Ihren Fragen kann ich jetzt so antworten:

zu 1) und 2): Ich halte das binäre Modell (Polarität / Dichotomie) für zu einfach. Alle von Ihnen genannten Ebenen sperren sich gegen eine bloße Polarität. Die Heisenbergsche Unschärferelation hatte ich dabei auch im Hinterkopf. Sie wird seit Neuestem noch komplexer, seit Efimov-Zustände („Dreikörpersystem“: quantenmechanisch schwach gebundene Zustände dreier Teilchen, ohne dass paarweise Bindungen bestehen) an Cäsium-Molekülen (Uni Innsbruck) und Helium-Molekülen (Uni Frankfurt) nachgewiesen wurden (siehe http://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-chemie/efimov-zustand-bei-heliumatomen-entdeckt-eine-bindung-die-es-nicht-geben-duerfte-13624585.html). Solche Efimov-Zustände gelten als universelle Quanteneffekte.

zu 3) und 4): Die Natur scheint weder stets diskret bestimmbar noch grundsätzlich binär codiert zu sein. Das was ich sehr unzureichend als „verflüssigte Grenzen“ nannte, möchte auf die dynamische Komplementarität vielfacher Bereiche und Aspekte abheben, die sich differenziert ergänzen und durchdringen, insbesondere soweit es sich um biologische, also lebendige Systeme handelt, die durch gesteuerte Energieaufnahme die Entropieverzögerung aktiv gestalten. Dies kann im anorganischen, subatomaren Bereich polare Strukturen (+/- ; Ort/Impuls) durchaus einschließen. Also Ja: dynamisch-diskretes Kontinuum fließender Grenzen und Gleichgewichte… :-)

+Stefan „‫زردشت‬‎“ Plank 11:30

Genau, der Begriff der Fließgleichgewichte scheint hierbei sicherlich ein zentraler Begriff zu sein. Obwohl oberflächlich betrachtet eine diskrete Natur angenommen werden kann, so bin ich auch der Meinung, dass diese Feststellung alleine, eine Reduktion bedeutet und den gesamten Tatbestand nicht vollständig beschreiben kann. Da ich neben Philosophie auch Bioinformatik studiert habe, wurde ich sicherlich für eine diskrete Weltanschauung sensibilisiert. Sicherlich ist die Informatik ein Gebiet, das vorallem durch die Reduktion erst begründet ist. Wenn man allerdings die elektrotechnischen Grundlagen betrachtet, so gibt es eigentlich nicht wirklich, absolut diskrete Bauteile. (Transistoren, Widerstände usw. Können auch „Zwischenzustände“ annehmen.) So könnte man feststellen, dass sich die Dichotomie von zwei konträren Zuständen, erst auf einer „höheren Ebene“ ergibt und nicht wie oft behauptet, auf der „untersten Ebene“ bereits vorhanden ist. Auch das Gehirn als bioelektrischer Apparat, funktioniert bei genauerer Betrachtung nicht wirklich binär. So könnte man tatsächlich die These vertreten, dass die Dichotomie kein Basiszustand, sondern selbst ein emergentes Phänomen ist. Die Basis wäre demnach vielmehr unär. (…)

Wie dem auch sei, danke für die Denkanstöße und die literarischen Querverweise. Das mit den Efimov-Zuständen werde ich mir genauer anschauen.

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